Fortpflanzungsmedizin: Kann ein Kind ein Schaden sein?

Kinderlos trotz jahrelangen Kinderwunsches – kein Einzelschicksal. In diesem Fall konnte geholfen werden: Nach erfolgreicher Behandlung und einer Risikoschwangerschaft kommen drei gesunde Kinder zur Welt, zwei Buben und ein Mädchen. Dreifaches Happy End? Weit gefehlt.

Als die Kinder etwa drei Jahre alt sind, wird der behandelnde Arzt zu einem Gerichtsverfahren geladen. Das Paar begehrt Unterhalt für ein Kind. Die Klägerin hätte nur mit Zwillingen schwanger werden wollen – es sei ein Kind zu viel zur Welt gekommen. Ein Schaden?

Als gelernte Juristin weiß ich, was Schaden im rechtlichen Sinn ist: „Schaden heißt jeder Nachteil, welcher jemandem an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden ist.“ (§ 1293 ABGB). Als gelernte Mama weiß ich, was es bedeutet, ein Kind zu haben. Schmerzen bei und nach der Geburt, schlaflose Nächte, entgangene Vergnügungen aller Art, keine Zeit für sich selbst, nicht zuletzt hohe Ausgaben. Und unendliches Glück. Nasse, inbrünstige Liebkosungen, strahlende Kinderaugen und „Auas“, die nicht mehr wehtun, wenn die Mama draufbläst.

Dieses Glück lässt sich nicht quantifizieren und in einer „Kind-Kosten- Nutzen-Rechnung“ den Mühen gegenüberstellen. Und was wären die Kosten? Nur der Unterhalt oder vielleicht auch die viele Arbeit, die ein kleines Kind macht? Der zuständige Richter im „Drillingsfall“ stellte jedenfalls fest, dass ein gesundes Kind kein Schaden sei. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen. Das Verfahren geht jetzt in die nächste Runde.

Der Fall hat mich neugierig gemacht

Und so besuche ich den behandelnden Arzt Dr. Alexander Just, Leiter der Kinderwunschambulanz am LKH St. Pölten. Wir führen ein sehr interessantes Gespräch. Zunächst erklärt mir der Fachmann die Grundbegriffe der modernen Fortpflanzungsmedizin. „Bei einer künstlichen Befruchtung werden Eizellen und Samenzellen außerhalb des Körpers, also im Labor, vereinigt und dann in die Gebärmutter eingebracht.

Bei einer Insemination wird nur der Samen in die Geschlechtsorgane der Frau eingebracht.” Diese Unterscheidung ist nicht nur medizinisch und für die Chancen, tatsächlich schwanger zu werden, von großer Bedeutung, sondern auch hinsichtlich der Regelung über die Herkunft der Samen. Während für eine künstliche Befruchtung nur Eizellen und Samen der Ehegatten oder Lebensgefährten verwendet werden dürfen (§ 3 Fortpflanzungsmedizingesetz), kann bei einer Insemination der Samen eines Dritten genommen werden, wenn der Ehegatte oder Lebensgefährte nicht fortpflanzungsfähig ist.

Aus rechtlicher Sicht eine wichtige Unterscheidung, obwohl es praktisch für das Kind keinen Unterschied macht, wie es gezeugt wurde. Und doch kann bei Variante 2 ein „Fremder“ der biologische Vater sein, bei Variante 1 hingegen nicht. Warum? „Das ist eine klassische Gesetzeslücke. Als die Regelungen über die Insemination geschaffen wurden, gab es die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung noch nicht. Später wurde das Fortpflanzungsmedizingesetz nicht mehr angepasst, obwohl viele Fachleute diese Regelung kritisieren.“ Sie bewirkt nämlich, dass so manche Österreicherin die künstliche Befruchtung mit Fremdsamen im Ausland durchführen lässt.

Für die Insemination gibt es auch in Österreich Samenbanken

Aussuchen, so erklärt mir Dr. Just, kann sich die künftige Mutter dort jedoch nichts. Kein „Wunschsamen“ also. Festgehalten werden lediglich die Personalien des Spenders, um dem Kind – sollte es je von den speziellen Umständen seiner Zeugung erfahren – auf Wunsch (ab dem 14. Lebensjahr) Auskunft über die Identität des biologischen Vaters geben zu können.

Selbstverständlich wird der Samen vor der Insemination genauestens untersucht. Wegen der notwendigen Abklärung ist diese Methode auch relativ teuer, rund 500 bis 800 EUR kostet ein Versuch. Auch eine künstliche Befruchtung ist nicht gerade günstig. Sie kostet im Schnitt 3000 bis 3500 EUR. Allerdings trägt bei Frauen bis 40 und Männern bis 50 Jahren bis auf einen Selbstbehalt von 30 Prozent der Familienlastenausgleichsfond diese Kosten. Bis zu vier Versuche werden bezahlt.

Auch ältere Paare können eine künstliche Befruchtung durchführen lassen, allerdings müssen sie die Kosten alleine tragen. Das Gesetz selbst sieht keine Altersgrenze vor, allerdings üben sich die Ärzte in Selbstrestriktion: „Meine Altersgrenze liegt bei 45 Jahren. Bei älteren Frauen nehme ich einen solchen Eingriff nicht vor“, sagt Dr. Just. Mich interessiert, wie viele Embryonen (also befruchtete Eizellen) einer Frau auf einmal eingesetzt werden dürfen. Auch diese Entscheidung bleibt dem Arzt überlassen. Nach dem Gesetz darf er so viele Embryonen „erzeugen“ und einsetzen, „wie nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung … für eine ausreichende und zumutbare medizinisch unterstützte Fortpflanzung notwendig sind“. Eine dehnbare Bestimmung.

Wieder ist das ärztliche Gewissen gefragt. „Bei einer Frau unter 35 und beim ersten Versuch nehme ich nicht mehr als zwei Embryonen.“ Denn das große Risiko der künstlichen Befruchtung bestehe in einer Mehrlingsschwangerschaft. „Die Chance, auf natürlichem Weg Zwillinge zu bekommen, liegt bei zirka 1,2 Prozent. Bei einer künstlichen Befruchtung sind es zwischen 20 und 25 Prozent“, weiß Dr. Just. Eine Mehrlingsschwangerschaft sollte möglichst vermieden werden, da sie immer risikoreicher als eine Einlingsschwangerschaft sei.

Trotzdem gebe es private Institutionen, die bis zu acht Embryonen einsetzen, wohl wissend, dass nur ein kleiner Teil überleben kann. Natürlich sei in diesem Zusammenhang auch Abtreibung ein Thema. „Es kommt vor, dass ein Paar drei Embryos einsetzen lässt und dann auf Zwillinge ,reduziert’. Das ist natürlich immer mit dem Risiko verbunden, dass alle Embryonen abgehen.“ Die „produzierten“ Embryonen bleiben zwischen drei und fünf Tagen im Reagenzglas.

Dann wollen sich die Embryonen in einer Schleimhaut einnisten. Also müssen sie in die Gebärmutter transportiert werden. „Bei Schafen wurde bereits eine künstliche Gebärmutterschleimhaut hergestellt. Aber bei Menschen wäre das zu aufwendig.“ Noch. Frankenstein lässt grüßen.

Bei der künstlichen Befruchtung spielt der zuständige Biologe bzw. die Biologin praktisch „Lieber Gott“. Er oder sie sucht die Samenzellen aus, die zur Befruchtung verwendet werden. Damit ist der genetische Code des künftigen Lebewesens festgelegt. Wenn es leben darf.

Denn von etwa zehn befruchteten Eizellen, die im Reagenzglas wachsen, werden nur einige (siehe oben) in die Gebärmutter eingesetzt. Aber welche? Auch das liegt in der Hand des Biologen. Er entscheidet anhand von so genannten morphologischen Kriterien, die z. B. Regelmäßigkeit, äußere Beschaffenheit und Wachstum der Zellen betreffen.

Verboten ist hingegen Präimplantationsdiagnostik, das heißt, die Embryonen zu untersuchen und danach zu selektieren, welche eingesetzt werden. Feststellen könnte man heute bereits Krankheitsanfälligkeiten, z. B. ob der Embryo mit hoher Wahrscheinlichkeit einmal an Brustkrebs oder Diabetes erkranken wird. Dass gerade potenzielle Krankheiten erkannt werden können, ist kein Zufall, gibt es doch Institutionen, wie z. B. Krankenkassen, die an solch frühzeitigen Diagnosemöglichkeiten Interesse haben.

Feststellen ließe sich natürlich auch das Geschlecht. „Es gibt Länder, wo bereits gezielt nach dem Geschlecht selektierte Embryonen eingesetzt werden“, weiß der Fachmann. Irgendwann werde man auch die künftige Intelligenz des Retortenbabys feststellen können. Eine beängstigende Vorstellung …

Zum Abschluss

frage ich Dr. Just nach seiner Meinung zu dem anhängigen Gerichtsverfahren. „Eigentlich nehme ich es den Leuten gar nicht übel, wahrscheinlich sind sie mit der Situation überfordert. Ich war nur total überrascht. Wir sind ja im guten Einvernehmen auseinandergegangen. Und dann kam plötzlich das Verfahren. Warum hätte ich drei statt zwei Embryonen einsetzen sollen?

Dafür bekomme ich auch nicht mehr Geld!“ Ich bedanke mich für das interessante Gespräch. Auf der Heimfahrt geht mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf: Was wird die Mutter den Drillingen später, wenn sie alt genug sind und vielleicht von dem Prozess erfahren, erzählen? Welches Kind war zu viel und wie hoch war der „Schaden“? Ich hoffe, sie werden nie davon erfahren.

Dr. Birgit Mosser-Schuöcker

Foto: Shutterstock.com Leptospira

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