Was heißt hier schön …

Waren Sie schon einmal in Willendorf? Ich nicht. Aber trotzdem mag ich das Dorf, ziemlich sogar. Denn es ist die Fundstelle der berühmten “Venus von Willendorf”, einer Schönen aus der Steinzeit.Und wenn ich mir die Dame so ansehe, dann frage ich mich ernsthaft, warum ich eigentlich nicht 10.000 Jahre früher zur Welt gekommen bin – noch ein paar kleine Kilos mehr, und ich wäre Miss Steinzeit geworden?

Schönheit in der Steinzeit

Denn die Venus – wer, bitte, hat ihr den Namen “Venus” verpasst??? – ist fett, einfach nur fett. Aber äußerst liebevoll gestaltet: Die dicken Brüste, der große Bauch, die mächtigen Hüften, ein klein wenig Zellulitis an den Schenkeln, alles mit großem Geschick und unglaublicher Detailtreue herausgearbeitet. Ein Porträt der Pin-up-Göttin anno 8.000 vor Christus. Was aber hat Herrn „Geradenichtmehrhöhlenmensch“ zu dieser geschmacklichen Eigenheit gebracht?

Nun, Mütter haben etwas. Die Lizenz zum Lebenschenken nämlich. Großer Busen, breites Becken, dicker Bauch: Die gute Venus war ziemlich sicher schwanger. Und vermutlich nicht zum ersten Mal. Der Zusammenhang zwischen Sex und Schwangerschaft war den Menschen aus der Steinzeit wahrscheinlich nicht klar – aber klar war, dass eine Frau, die Kinder haben konnte, äußerst wichtig für den ganzen Clan war.

Erfolg macht sexy. Und Vermehrung war Erfolg. Wenn frau noch ein paar neckische Fettablagerungen ihr Eigen nennen konnte, dann starb sie auch in hungrigen Wintern nicht so schnell und konnte sogar noch ein Kind mit ihrer Milch durchbringen.

Im Prinzip ein gutes Prinzip. Und eines, das sich durchaus nicht nur in Willendorf durchgesetzt hatte. Auch heute noch legen Naturvölker großen Wert darauf, dass der Busen einer Frau hängt, zeigt das doch, dass sie schon Kinder gestillt hat, möglichst lange hoffentlich. Denn wenn sie über einige Jahre Milch hatte, dann war das Baby offenbar am Leben geblieben – habe ich schon erwähnt, dass Erfolg sexy macht?

Vom antiken Ägypten ins Hochmittelalter

Frau Ägypterin war mit der Freizügigkeit ein wenig geiziger: Nacktheit war nämlich langweilig und normal. An den Ufern des Nils ist wärmende Kleidung äußerst überflüssig und war für Bauern und Sklaven auch viel zu teuer. Richtig sexy wurde sie erst dann, wenn frau sich bedecken konnte – ein Privileg, das sich nur wirklich Reiche leisteten. Baumwollstoffe wurden nach dem Grad ihrer Durchsichtigkeit eingestuft. So ein hauchdünnes Kleid, getragen über gar nichts, das bot schon was. Und damit es auch ordentlich etwas zum Durchschimmern gab, bemalte die Schöne vom Nil ihre Brustwarzen mit roter Farbe.
Die stolzen Minoerinnen, jene, die so gerne auf Stierhörnern tanzten und gelegentlich dem Minotaurus als leckere Mahlzeit serviert wurden, mochten ihre Brüste auch. So sehr, dass sie sie gerne zeigten: Ihre Kleider hatten alles, was ein Kleid so braucht, Ärmel, Rock, Taille – und auch ein Dekolletee, das beide Brüste fröhlich im Freien baumeln ließ.

Freiheit für den Busen! Eine Ansicht, der sich die elegante Griechin nicht anschließen konnte: Flach musste man sein, busenlos und ohne Hüften. Schließlich war man als weiblicher Sexpartner auch gerade nicht in Mode. Jeder Grieche, der auch nur in Ansätzen etwas auf sich hielt, hielt sich mindestens einen hübschen Knaben zum Vergnügen. Sex mit der Ehefrau war Pflicht. Logisch, dass auch alles, was weiblich wirkte, gerade nicht “in” war – und dass die griechische Frau, die gut aussehen wollte, ihren Busen fest mit breiten Bändern unter dem Kleid flach schnürte.

Darin war sie sich übrigens mit ihrer Kollegin aus dem Hochmittelalter einig: Auch damals sollte man nicht unbedingt sehen, dass Frauen einen Körper haben. Lange, weite, wallende Kleider bedeckten im Idealfall kurvenlose Körper. Natürlich waren die Idealfälle genauso selten wie heute – aber die Kirche sah Frauenkörper ausschließlich als Gefäße allen Übels. Schließlich kann doch nur die Frau schuld sein, wenn der Mann sündigt, oder? Und mehr noch ist die unverzeihlichste aller Sünden doch weder Mord noch Folter, sondern ein bisschen Spaß am Sex!

Allzu lange hatte die Enthaltsamkeit keine Chance – immerhin hatten die Menschen offenbar heimlich immer noch guten Sex. Zumindest sind der Inquisition ein paar höchst erotische Gedichte, Geschichten und Bilder entgangen, die uns beweisen, dass auch die Frauen des Hochmittelalters die gleichen Figurprobleme hatten wie wir heute.

Barocke Wonnen

Wer spricht von “Figurproblemen”? Die barocken Frauen hatten höchstens dann welche, wenn ihr Busen zu klein war oder ihre Hüften zu schmal. Ein wenig überladen wirkten die Schliefchen, Rüschen und Perücken ja schon – aber sie wiesen auch auf alles das hin, was Spaß machte: Männer waren stolz auf ihre engen Hosen, die ihr bestes Stück ordentlich betonte, besonders, weil sie es mit speziell umgeschnallten Pölsterchen noch fein zur Geltung brachten.

Das Dekolletee hatte wieder einmal Saison: Zumindest ein Stück Warzenhof sollte noch aus dem geschnürten Kleid blitzen. Und große Damen lernten, bei günstigen Gelegenheiten – im Theater zum Beispiel – den Busen komplett heraushüpfen zu lassen und dann wieder elegant zu verstauen. Sex hatte Saison. Kein Wunder: Ganz Europa war vom Dreißigjährigen Krieg verwüstet, Geld gab es einfach nicht, nur Schulden. Fazit: Feiern bis zum Umfallen, es sah nicht so aus, als sollte es noch eine Zukunft geben. Und die Kirche in Rom lassen, das war weit genug entfernt.

Napoleon und das 19. Jahrhundert

Nun, springen wir noch ein paar Jahrhunderte nach vorne, direkt in die Arme Napoleons. Da war gerade wieder einmal das Kindliche dran: Frauen trugen Babylöckchen, Prinzesskleidchen, goldene Sandalen und keine Kurven. Dafür liebten sie Gerüche, besonders ihre eigenen: “Wasch dich nicht, ich komme heim!”, schrieb Napoleon seiner Josephine. Ein viel versprechender Brief … er kam aus Ägypten. Und Napoleon wusste, dass sein Schreiben wohl einen Monat vor ihm bei seiner Frau eintreffen würde.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde es erst so richtig unbequem für die Frau: Eine Sanduhrfigur sollte sie haben, mit großem, runden Busen, Minitaille und breiten Hüften. Dabei durfte man aber eigentlich gar nichts von ihrem Körper sehen! Denn natürlich war alles unanständig, was nur unanständig sein konnte. Anständig war nur das Muttersein – daher auch die Betonung von Busen und Po – an Erotik durfte aber nicht einmal gedacht werden. Und damit die Damen auch ordentlich auf ihren größten Schatz, die Jungfräulichkeit, aufpassten, mauerte man sie ein. In Konventionen und ins Korsett.

Wie unanständig, als Gustav Klimt und seine Freundin Emilie Flöge die korsettlosen “Reformkleider” entwarfen! Nicht, dass die beiden Kinder erotischer Traurigkeit gewesen wären, aber die Reformkleider waren wirklich nichts anderes als hübsch bedruckte Erdäpfelsäcke und trotzdem der Skandal des Jahrzehnts. Freiheit für den Körper, Freiheit für den Geist!

Androgynität, Operettengermaninnen und Minis

Zeit für eine neue Zeit, Zeit für neue Strukturen: Der Erste Weltkrieg hat die Welt der Mütter und Väter in Schutt und Asche zertrümmert. Wer will noch mütterlich sein? Die Frauen der 20er Jahre bestimmt nicht. Ihre knabenhaften Körper sollen nicht einmal Taillen haben, frei und sportlich sollen sie sein! Trotzdem: Schön ist, was erotisch ist – nicht sexy. Zigarren und Zigaretten in langen Spitzen werden lasziv an knallrot geschminkte Lippen geführt, lesbisch zu sein, nur so ein bisschen, ist spannend und schön ist alles, was so ein wenig “dazwischen” ist: zwischen jungenhaft und weiblich, zwischen hetero und homo.

Klar, dass damit Schluss war, sobald der Zweite Weltkrieg auch nur als Möglichkeit in den Köpfen spukte: Gefragt war nun die deutsche Frau, eine Art Operettengermanin, stark, groß, blond, mit Händen zum Zupacken, gebärfreudigem Becken und einem Busen zur Erbauung von Gatten und Babys. Viele herrliche deutsche Söhne und weibliche deutsche Mädchen sollte sie gebären. Sex war Pflicht. Und Pflicht war’s auch, dass die Frau daran Spaß hatte, wenn der Mann darauf Wert legte. Schönheit war etwas, das von innen kam – von außen gab es Achselhaare, Haarknoten und Schminkverbot. Ob damit sicher gestellt werden sollte, dass die Frau von garantiert keinem anderen Mann als ihrem eigenen angefasst wurde? Nun, sei’s drum.

Die Fifties kamen. Und mit ihnen Dirty Dancing und Elvis the Pelvis. Marilyn Monroe bastelte sich aus Fischbein und Draht ein böses Gestell, das ihren Busen gefährlich spitzquetschte, blond wurde zur Einheitshaarfarbe auch im Bürgertum und so ein bisschen Dreck machte das Leben endlich wieder interessant. Man sah sich um und sah sich an. Und entdeckte wieder, dass manche Organe nicht nur zur Pflichterfüllung dienen konnten.
Da die Zeit um den Ersten Weltkrieg mit ihrem Hang zu Kernseife und allzu natürlicher Natur die Sinne nicht gerade verwöhnt hatte, neigte man und frau nun dazu die Schönheit in jeder Hinsicht ein wenig zu verbessern: Mit Nagellack, verborgenen Korseletts und Make-up, mit Miederhöschen und Augenbrauenstift. Wen wundert es, dass die erste Barbie 1959 auf den Markt kam?

So schön wie sie, stilisiert (Wussten Sie, dass eine Frau mit Barbie-Maßen nur auf allen Vieren laufen könnte, weil sie sonst abbräche?) und ein Designobjekt, so fühlte sich die Frau Anfang der 60er. Der Babyspeck der Fifties war weggeschmolzen, was zehn Jahre zuvor noch als Zeichen von Gesundheit und Reichtum der überstandenen Kriegswirren galt, war nun peinlich. Die Röcke wurden Dank Mary Quandts Minis immer kürzer, die Hintern knackiger, die Musik wilder, die Wimpern falscher und der Sex freier. Twiggy, das Zweiglein, knöchern und knabenhaft, rollte die Modelszene auf: Nun war es schick, dünn zu sein. Wer Geld hatte, kaufte sich nicht etwas zu essen, sondern den neuesten Diätdrink.

Auf in die sexuelle Freiheit

1968 schließlich, war alles endlich frei: Love, Marihuana, Haare, alles, wogegen die Leute über 30 waren. Ein bisschen Schmuddel-Look – aber sorgfältig gestylter Schmuddel-Look leitete direkt hin zur ultimativen Befreiung des Busens: BH-Verbrennungen zeugten vom neuen emanzipierten Schönheitsideal. Und von wundgescheuerten Brustwarzen. Frauen entdeckten ihre männlichen Seiten. Die weiblichen verbargen sie sorgfältig. Ein wenig Kernseifenduft umwehte die BH-losen Brüste, die in vorzugsweise lila Latzhosen freudlos schaukelten.

Nun, heute hat man es wieder stylish. Und mittlerweile gibt es fast nichts mehr, was man nicht dauerhaft verbessern kann: Kosmetische Operationen werden in Talkshows verteilt, meine echte Haarfarbe habe ich zuletzt 1985 oder so gesehen. Geschminkt wird per Permanent Make-up und Haare sprießen nur mehr auf dem Kopf. Ausschließlich auf dem Kopf – dafür sorgen Laser. Zähne tragen Krönchen, Brustwarzen Piercings und Oberschenkel Tattoos.

Und wie geht’s weiter? Keine Ahnung. Irgendwie irre, vielleicht. Oder in Richtung Kernseife. Aber wer will denn das schon wissen? Mitmachen werden wir’s ja doch. Und uns darüber ärgern, dass wir – wieder einmal – genau dem falschen Schönheitsideal entsprechen.

Gerlinde Heil

Foto: pixabay_Yerson_Retamal

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