Lernen einmal anders

Wenn das Wohnzimmer zum Klassenzimmer wird: Klassischer Schulunterricht muss nicht sein. Familienberaterin Mag. Daniela Grießer hat alternative Unterrichtsmöglichkeiten unter die Lupe genommen.

Für viele Kinder beginnt er in wenigen Wochen wieder: Der Ernst des Lebens. Während Eltern und Schuleinsteiger noch auf den ersten Schultag hin fiebern und ihn als großes Ereignis feiern, lässt die Euphorie im Laufe der Schullaufbahn stetig nach. Doch warum verschwinden die Freude und die kindliche Neugier?
Das derzeitige Schulsystem lässt, wie immer wieder aufgezeigt und kritisiert wird, wenig Freiraum für individuelle Entwicklungen und Interessen. Ganz im Gegenteil: Wer nicht mithalten kann, wer den Anforderungen nicht entspricht, nicht dieselben Interessen hat, passt nicht ins System. Kinder und Eltern sind den Bedingungen geradezu ausgeliefert – nicht zuletzt wegen mangelnder Aufklärung. Denn es gibt in Österreich keine Schulpflicht, sondern nur eine Unterrichtspflicht. Diese ist im österreichischen Schulpflichtgesetz §11 geregelt.

Die Rolle der Eltern

Eltern haben die Möglichkeit – und das betrifft auch schon das verpflichtende Kindergartenjahr – ihre Kinder zum häuslichen Unterricht abzumelden und zu Hause zu „unterrichten“. Stichwort: Homeschooling/Freilerner. Wobei unterrichten hier wohl das falsche Wort ist: Es gibt in Freilerner-Familien nur wenig herkömmlichen Unterricht. Vielmehr gehen Eltern davon aus, dass Kinder alles mitbekommen, was sie zum Lernen brauchen. Dabei stehen die Neugier und die Lust am Lernen an erster Stelle. Es geht also mehr um ein „unschooling“: Eltern schaffen für Kinder den Raum, in dem sie selbstbestimmt nach eigenen Interessen lernen.
Gerald Hüther, Professor für Neurobiologe an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen, beschreibt, wie Kinder bis zum Schuleintritt mit Begeisterung lernen und dabei neuroplastische Botenstoffe ausgeschüttet werden, die er als „Dünger für das Gehirn“ bezeichnet. Diese werden nur freigesetzt, wenn die emotionalen Zentren angesprochen werden, also Lernen und Erfahren unter die Haut gehen und mit allen Sinnen geschehen. Schaut man sich jedoch den Alltag in vielen Schulen an, so ist von ganzheitlichen Sinneserfahrungen nur wenig zu sehen und wird höchstens in Form von „Projekttagen“ umgesetzt.
Das emotionale Lernen wird zu einem kognitiven, das sich an standardisierten Lehrplänen orientiert und in einem gewissen Zeitraum stattfindet, dem Schultag. Freilerner hat jedoch nichts mit Laissez-faire zu tun, denn der Alltag wird von festen Ritualen wie gemeinsamen Mahlzeiten etc. „bestimmt“. Es fehlt den Kindern also nicht an Orientierung, an Strukturen oder an der Möglichkeit zur Sozialisierung. Auch der Kontakt mit anderen Kindern ist da, wie in jeder anderen Familie auch. Nur das Lernen ist anders und wird vom Kind selbstbestimmt.
Wie bei allen Formen des häuslichen Unterrichts müssen die Kinder Externisten-Prüfungen ablegen um zu zeigen, dass sie auf dem gleichen Stand sind wie ihre Altersgenossen. Ein wenig Kontrolle ist also noch da. Doch auffällig ist, dass Freilerner meist mehr Kompetenzen und Detailwissen aufweisen als ihre Kollegen in herkömmlichen Schulen.

Alternativen zum Homeschooling

Freilich passt diese Möglichkeit des Lernens nicht für jede Familie und ist auch mit einer Berufstätigkeit der Eltern schwer vereinbar. Homeschooling ist nicht nur ein Lern-, sondern ein Lebensmodell. Alternativ dazu entstehen immer mehr kleine private Initiativen, die den Kindern Raum für ihre Entwicklung geben. Dabei folgen sie zumeist reformpädagogischen Ansätzen. Der Haken: Sie sind sehr kostspielig.
Eine positive Entwicklung ist auch der stetige Ausbau von Mehrstufenklassen, die sich durch ein offenes und ganzheitliches Lernsystem auszeichnen und damit für viele Eltern gute Alternativen sind. Wie immer steht und fällt die positive Entwicklung jeder Klasse mit dem Engagement und Lernverständnis der pädagogischen Fachperson und mit dem Funktionieren der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule. Dann aber heißt es mit Freude: Es darf gelernt werden …

Weitere Infos

Die Grundlagen des Freilernens, sowie Tipps und Informationen darüber, sowie Möglichkeiten zu Vernetzung und Erfahrungsaustausch: Familiennetzwerk der Freilerner, Plattform für schulfreies Lernen in Österreich, www.freilerner.at
Mehr zum Thema Gehirnforschung und Lernen bzw. den Neurobiologen Gerald Hüther auf www.gerald-huether.de
Foto: DeeMPhotography – shutterstock.com
Related Stories
Search Posts