Babys Abenteuer, Mamas Sorgenfalte

KiddyCoach Gerhard Spitzer über „lebensgefährliche“ Entdeckungsfahrten kleiner Leute.

„Mit meinem kleinen Sonnenschein ist offenbar irgendwas nicht richtig!“ meint Monika F., Mutter der 6 Monate jungen Sabrina, mit besorgtem Unterton. „Die Kleine beschäftigt sich derzeit kaum noch mit ihren sonst heiß geliebten Kinder-Rasseln und anderen tauglichen Spielsachen, dafür aber mit jedem Brösel und anderen winzigen Schmutzpartikeln überall auf dem Boden. Fasziniert hebt sie alles auf, schmeißt aber die meisten Fundstücke gleich nach dem Aufnehmen wieder weg, nur um dann voll Hingabe das nächste Fussel zu suchen. Zum Glück nimmt sie nicht jeden entdeckten Krümel auch noch in den Mund. Davon könnte sie ja arg krank werden! Das macht mir Angst! Was ist da nur los? Was, wenn Sie eine Glasscherbe entdeckt? Bitte sagen Sie mir, was ich machen soll?“
Gar nichts! Na das ist einfach. Ein beraterischer „Spaziergang“ geradezu. Eine so einfache Antwort kann man besorgten Eltern nur selten geben. Meine Antwort an Monika lautet also: „Gar nichts sollen Sie machen, liebe Mama, außer stolz auf Klein-Sabrina sein! Sie dürfen höchstens mal mit hinunter auf den Boden, um das kleine Krümelmonster bei seinen Mikroben-Abenteuern zu unterstützen. Das heißt nichts Anderes, als dass Sie Ihr Kind positiv wahrnehmen und zuweilen sogar mitmachen, indem Sie die Greif-Bewegungen der Kleinen spiegeln. So fühlt sich Sabrina bestärkt und ernst genommen in ihrem neuen Tun. Denn ernsthaft, dieser wunderbare Vorgang ist ja geradezu sensationell.“

Neuer Griff

Die Erkenntnis aus alldem: Irgendwann zwischen fünftem und zehnten Monat entwickeln Babys quasi den Hattrick unter den feinmotorischen Errungenschaften ihres winzigen Körpers. Auf einmal funktioniert es nämlich, den Daumen, der bislang bloß zum Lutschen gut war, zielgenau zum Zeigefinger führen, um mit diesem neuen Griff winzigste Sachen zu ergreifen und zu halten.
„Wow! Was für ein Schritt ins große Universum der Erwachsenen!“, denkt Sabrina vielleicht. Für manche Ohren hört sich dieser Schritt vielleicht unbedeutend an. Doch das ist er keineswegs! Wenn der „Pinzettengriff“, wie er fachlich korrekt heißt, zum ersten Mal zu funktionieren beginnt, ist das wohl Grund genug für ausgiebige Abenteuer auf allen Böden in der unbegreiflich riesigen Wohnhöhle. 
Übrigens: Nicht jedes Brösel, das dann doch in Sabrinas Mund landet, hat das Potential, sich für Babys Organismus gleich schädlich auszuwirken. Ganz im Gegenteil, ist es für das Training des Immunsystems geradezu unerlässlich, möglichst frühzeitig mit möglichst vielen fremden Keimen in Berührung zu kommen. Damit sind wir schon im Krabbelstil beim nächsten großen Abenteuer in Babys Welt angekommen.

Neuer Geschmack

„Noah ist jetzt vier Monate alt und nimmt absolut alles in den Mund, was er zu fassen bekommt, egal, wo es gelegen hat: Kurzer Griff und rein in den Mund. So schnell kann ich gar nicht bei ihm sein, um das zu verhindern. Das stresst mich schon ziemlich. Wie soll ich ihn denn schützen?“, fragt Mutter Susanne. Auch hier sage ich: „Bleiben Sie entspannt, Mama!“ Vor Babys allzu herzhafter Lutschgewohnheit sei nur insoweit gewarnt, als es allerdings Gegenstände gibt, die so schön glatt, rund und „passend“ sind, dass sie reflexartig geschluckt werden können. Darauf muss natürlich schon geachtet werden.
Die andere Seite ist allerdings die: Kinder brauchen diese „orale Phase“ des Erspürens ihrer Umwelt und ihres eigenen Körpers unbedingt möglichst ausgiebig. Forscher nennen dieses eigene Erspüren „Autoperzeption“. Babys brauchen also diesen speziellen autoperzeptiven Vorgang und haben dafür allerdings noch einen pfiffigen Bonus: Im ersten Lebensjahr existieren in Babys Mund nämlich noch zwei zusätzliche Stellen, an denen sensitive Geschmacksknospen sitzen und zwar jeweils an der Zahnleiste und in den Wangen. Spannend, nicht wahr? Und so praktisch!

Neues Terrain

Was zu guter Letzt aber sicher alle Eltern interessiert, ist das, worüber sich Gerhard K., Vater des sieben Monate alten Tommi Gedanken macht: „Unser kleiner Wirbelwind holt wahrlich alles, was nicht angenagelt und in seiner Reichweite ist aus allen Behältnissen heraus und verteilt es im Raum. Auf mein „Nein“, oder „Stopp“ grinst er dann irgendwie verschmitzt! Provoziert er uns damit? Wie schützen wir ihn vor Verletzungen?“
Zum Ersten: Ja! Na klar provozieren uns Babys zuweilen. Fachlich korrekt hieße es „Grenzen austesten“. Schließlich wollen sie ja wissen, wie weit sie gehen können. Eine gleichermaßen schlichte wie geniale Lern-Strategie.
Zum Zweiten: Um eventuelle Baby-Ausräum-Abenteuer-Verletzungen zu verhindern, noch ein pfiffiger Tipp für Sie: Gehen Sie doch einmal kurz selbst in die Baby-Perspektive, indem Sie kniend oder sogar krabbelnd alle möglichen Bereiche auskundschaften. So erkennen Sie leichter eventuelle wirkliche Gefahrenherde. Wenn Sie diesen Abenteuer-Parcour auch noch zusammen mit Ihrem Baby machen, haben Sie gleich auch noch ein wunderbar witziges Nachmittags-Programm. 

FratzTipps

  • Die allermeisten Abenteuer Ihres Babys dürfen Sie nicht nur völlig entspannt sehen, sondern zum Anlass für positive Reaktionen machen. 

  • Wenn Sie bestimmte autonome Aktivitäten Ihres Babys positiv wahrnehmen, verringert das die typischen Abwehr-Reaktionen. Deutlich weniger „Fehlverhalten“ ist die Folge.

  • Je größere Angst Sie wegen möglicher Verletzungen und lebensbedrohlicher Ausflüge verspüren, desto eher könnte dann doch manch Unvorhergesehenes passieren. Ihr Baby spürt Ihre Angst und reflektiert sie.

  • Wenn Sie ernsthaft vorsorgen wollen, lassen Sie sich immer wieder mal für kurze Zeit sowohl körperlich, als auch mental auf die Erlebens- und Betrachtungswelt Ihres Babys „herab“. Sie werden staunen, was Ihnen da so begegnet.

  • Klare Rituale und Strukturen helfen, die Autonomiebestrebungen Ihres Babys zwar nicht einzuschränken, aber in einem pädagogisch wertvollen Sinn zu steuern.
Foto: Gyuszko-Photo – shutterstock.com