Lernen – aber richtig!

Lernen zu Hause kann zur Qual ausarten. Was Eltern tun können, damit das nicht passiert, verrät Lerntrainer Franz Konlechner

Die ersten Eindrücke von der Schule bekommt das Kind lange bevor es selbst in die Schule geht. Mit Worten wie „Du wirst schon sehen, ich habe …!“ stimmen die Erwachsenen den angehenden Schüler auf seine neue Lebensphase ein. Gefärbt werden diese Erzählungen durch die jeweiligen Erinnerungen des Erwachsenen an seine eigene Schulzeit.
Die moderne Gehirnforschung weiß, dass wir nicht nur neue sachliche Inhalte lernen, sondern auch die entsprechenden Emotionen gespeichert werden. Egal ob positive oder negative (Sie wissen wohl noch genau, wo Sie den letzten Strafzettel kassiert haben oder erinnern sich an eine besonders schöne Geburtstagsfeier). Und auch die Erinnerungen an unsere Schulzeit sind mit Emotionen verknüpft. Und wie bei den Schlagzeilen in der Zeitung werden wohl die schlechten Erinnerungen leichter memoriert. Vermeiden Sie jedoch tunlichst, Ihre Erfahrungen Ihrem Kind zu vermitteln, ja gar vielleicht mit Drohungen zu verbinden: „Du wirst schon sehen, in der Schule …!“

Schule verändert sich

Schule ist heute nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung. In Ganztagsschule, Hort oder Stundenbetreuung hat das Kind hier die meisten sozialen Kontakte. Waren die Lehrpersonen früher die abgehobene Autorität schlechthin, so sind sie heute ein immer wichtiger werdendes Bindeglied vom Kind zum Elternhaus. Ein Bindeglied mit immer mehr Aufgaben. Sind die Eltern berufstätig, verbringen die Lehrpersonen mehr Zeit mit dem Kind als Mutter oder Vater. Sie werden zu Bezugspersonen, die immer mehr persönlichkeitsbildende Agenden übernehmen.
Kinder haben ihr Grundtemperament mit in die Wiege bekommen. Aber die zweite Hälfte, die Ausformung von Charakter und Persönlichkeit, wird geprägt von der Kultur, in der das Kind lebt, von den Personen der Familie, von der Umgebung und der Schule. Wenn also die Kinder immer mehr Zeit in der Schule verbringen, so übernimmt diese in der Persönlichkeitsbildung der heranwachsenden Jugend eine immer größere Rolle.
Die Schule ist jedoch nicht die einzige Lernquelle. Machen Sie doch zehn Sekunden lang einen kurzen Selbstversuch:  „Denken Sie nicht!“ Aha, geht nicht? Ja, Ihr Gehirn ist nicht nur immer dabei, es arbeitet auch ständig für Sie. Menschen nehmen nicht nur wahr, sie verarbeiten neue Informationen ständig, das Gehirn verknüpft diese mit dem schon vorhandenen Wissen: es wird gelernt. Und zwar immer. Und gerade bei Kindern ist es am lernfähigsten. Auch beim Spiel, beim Sport, beim Fernsehen, bei Video und beim „Gamen“ lernen Kids. Und jetzt auch noch Schule zu Hause, die Aufgabe, das Lernen? Das schulische Lernen ist also nur eine Sonderform dessen, was wir und die Schulkinder sowieso tun: ständig Informationen verarbeiten, neues Wissen erwerben.

Lernen zu Hause – notwendiges Übel oder wichtige Ergänzung zur Schule?

Wenn in der Schule gelernt wird, wieso dann Aufgaben zu Hause? Die Neurodidaktik, die moderne Lehre des Lehrens, beweist vielfach, dass lange anhaltendes Wissen einerseits erst durch das Verstehen entsteht („explizites Wissen“). Und dann natürlich durch Üben und Wiederholen. Klar gibt es auch beim Lernen hochbegabte Talente wie beim Schifahren. Doch wie beim Sport kommt es auch beim Lernen zu Höchstleistungen erst durch Wiederholen und Üben. Und diese Höchstleistungen fordern die Eltern eigentlich ein, vor allem in Hinblick auf die nötigen „sehr gut“ für ein tolles Zeugnis und als Grundvoraussetzung für z.B. für den Besuch höherer Schulen.
Das heißt, selbst wenn in der Schule gut gelernt wird und anstehende Aufgaben problemlos erledigt werden, sind Üben und Wiederholen zur Festigung des Wissens wesentlich. Schon eingangs war die Rede von Emotionen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir uns an besonders stark emotionalisierte Fakten leichter erinnern, ist der Idealfall für das Lernen das begeisterte Erleben. Das geschieht, wenn Kinder alleine oder in Gruppen mit Freude experimentieren und durch Erfolg und Irrtum eigene Schlüsse ziehen können. Das Erlernen und Festigen von 1×1-Reihen oder der verschiedenen Fälle wird wohl kaum so interessant gestaltet werden können wie das Bauen einer Sandburg oder das Basteln eines Faschingskostüms. Doch zumindest in diese Richtung muss es gehen!

Positive Grundhaltung

Es geht um eine positive Einstellung zum Lernen, egal ob in der Schule oder zu Hause. Bringt das Kind der Schule eine positiv besetzte Grundhaltung entgegen, ist die wichtigste Lernbasis gelegt. Auch bei eventuellen Negativerlebnissen. Im Vordergrund muss die Freude am Lernen stehen. Durch verschiedene Lehrmittel und neue Lernformen wie z.B. Partner- oder Projektarbeit wird es für die Lehrpersonen möglich, in der Schule eine interessante Lernumgebung zu schaffen.
Zu Hause erreichen Sie die nötige Freude am Lernen am leichtesten durch Lob! Die Universität im niederländischen Leiden hat festgestellt, dass gerade Volksschulkinder vor allem durch Lob leichter lernten, weniger Fehler machten, bei Kritik gab es jedoch mehr Fehler.
Angeblich steht das Verhältnis von Tadel zu Lob von Erwachsenen gegenüber Kindern bei 10:1. Wie sieht es bei Ihnen aus? Beobachten Sie sich doch selbst. Keiner von uns kann Lob genug bekommen, auch wir Erwachsenen nicht. Und erst recht nicht Schülerinnen und Schüler! „Nobody is perfect!“ „Aus Fehlern lernt man!“ Das gilt beim Schifahren, beim Tennisspielen, beim Erlernen eines Musikinstrumentes. Und muss auch für den Schulstoff gelten! Trennen Sie, egal ob Lehrerin/Lehrer oder Mutter/Vater, die Phasen des Erlernens deutlich von denen der Abfrage des Wissens, von Prüfungssituationen. Nur so lernen Kinder natürlich und locker aus Versuch und Irrtum.

Verstehen des Lernstoffs

Es geht also auch darum zu erkennen, ob der Lernstoff wirklich verstanden wurde. Dann ist es in Zukunft leichter, das Gelernte später auch wieder abzurufen, daran gedanklich anzuknüpfen. Klar ist es auch möglich, rein auswendig zu lernen, z.B. Malsätzchen oder die Zeitformen. Oder ganz schnell mal Vokabel oder Formeln für die morgige Schularbeit (=„flüchtiges Wissen“). Doch vorrangig geht es um das Verstehen des Lernstoffs, damit z.B. die Gleichung mit neuen Angaben auch gelöst werden kann. Im Idealfall wurde das Grundverständnis für das Lösen der Aufgaben in der Schule gelegt. Ist das noch nicht erreicht, so sind Sie als Mutter/Vater der nächste Helfer. Und zwar wirklich Helfer, und nicht der, der die Aufgabe erledigt!
Maria Montessori, eine berühmte italienische Reformpädagogin, prägte den Satz: „Hilf mir, es selbst zu tun!“ Ein chinesisches Sprichwort besagt sinngemäß: „Der beste Erzieher ist der, der hinten nach geht!“. Klären Sie ab, ob das Kind die Aufgabenstellung verstanden hat. Helfen Sie, wenn es Fragen gibt, aber nur bei Bedarf. Lösen Sie sich vom Arbeitstisch Ihres Kindes, gehen Sie Ihrer eigenen Beschäftigung nach. Das Kind soll lernen, die Aufgaben selbst zu erledigen. Wenn nötig und wenn möglich, helfen Sie den richtigen Lösungsweg zu finden. Aber machen Sie diesen nicht vor! Hilft es, einem Lernenden die Tanzschritte vorzutanzen und dann zu sagen: „So geht es“?
Ich gehe auf dieses Thema deswegen besonders ein, weil ich bei meinen Vorträgen über das Lernen am häufigsten höre: „Wir brauchen so lange für die Aufgabe!“ Wahrscheinlich deshalb, weil das Kind noch nicht gelernt hat, selbst die Aufgaben zu strukturieren, zu überlegen, und Lösungswege zu finden. Weil das ja ohnedies der Erwachsene nebenan erledigt. Idealerweise nimmt sich der Erwachsene zurück, gibt bei Bedarf Tipps für den richtigen Weg und lobt! Vermittelt Freude über die gelungene Aufgabe. Betont das Erfolgserlebnis. Wie schön es jetzt ist, dass das Kind nach Erledigung der Aufgabe seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen kann. Und schafft damit die positive nötige Grundeinstellung für das weitere „Lernen“.
Foto: Jose Manuel Gelpi – Fotolia.com
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