Wieviel Bildschirmzeit ist für einen 11-jährigen okay?

Konrad 38 hat gefragt: „Lieber Herr Fisch, mit großem Interess habe ich Ihre Beiträge gelesen. Meine Frage: Unser Sohn hört Geschichten am Smartphone, spielt damit und nimmt Videos von seinen Skatetricks auf. Kurz: Er verbringt letztlich jeden Tag ziemlich viel Zeit mit diesem Ding. Wie viel Bildschirmzeit ist denn für einen 11-jährigen eigentlich okay? Was sagen Sie als Experte?

 

Ben Fisch: Lieber Konrad,

vielen Dank für Ihre interessante Frage. Ich könnte es mir einfach machen und auf diese Frage antworten: Die empfohlene Bildschirmzeit für die Altersgruppe 10-12 Jahren liegt bei etwa 60-90 min. am Tag. Allerdings ist die Erziehung und so auch die Medienerziehung nicht so einfach zu pauschalisieren, da jedes Kind ein Individuum ist und somit auch anders mit digitalen Medien umgeht und diese auch anders auf jedes Kind einwirken. Was gilt es aber dabei als Eltern zu beachten? Hier einige Gedanken dazu:

Ein klares Ziel der Medienerziehung sollte die Förderung der Medienkompetenz des Kindes sein. Dazu gehört auch eine zweckmässige Nutzung von digitalen Medien zu fördern, also Kindern möglichst vielfältige Nutzungsarten von digitalen Medien zu ermöglichen. Das bedeutet, dass eine reine Nutzung von Social Media oder Games die Medienkompetenz nicht wirklich fördert, ein Ausprobieren von verschiedenen Nutzungsarten, wie z.B. das Filmen von Skatetricks und allenfalls auch die Bearbeitung dieser Videos mit einer App oder einem Programm trägt da eher zur Förderung der Medienkompetenz bei.

So weit, so gut, doch was ist, wenn trotz vielfältiger Nutzung zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbracht wird? Tatsächlich ist es sinnvoll als Eltern eine ausgewogene Freizeit für das Kind zu ermöglichen, damit die digitale Freizeit nicht die Überhand behält.

Das einfachste Mittel, um eine solche Ausgewogenheit in der Freizeit des Kindes zu erreichen ist das Angebot an Alternativen in der Freizeit zu erhöhen. Bezüglich Einschränkungen oder Verboten von Bildschirmzeit muss man sich bewusst sein, dass digitale Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen oftmals einen Einfluss auf ihren Status im Kollegenkreis und der Peergruppe haben. Mit Verboten oder Einschränkungen der Bildschirmzeit stellen sich Eltern somit zwischen ihr Kind und dessen Kollegenkreis, was dazu führen kann, dass sich das Kind verschliesst und in einen Abwehrmodus gerät.

Damit Kinder eben nicht in einen Abwehrmodus geraten, ist es empfehlenswert eine möglichst offene Gesprächskultur zu diesem Thema in der Familie zu manifestieren. Dazu wäre es zunächst ratsam das Kind in seinen digitalen Aktivitäten zu beobachten und Interesse dafür zu zeigen. Das sollte aber keinen kontrollierenden Charakter haben, sondern zum Ziel führen, die Begeisterung des eigenen Kindes für dessen digitale Aktivitäten besser nachvollziehen zu können. Ganz nach dem Motto «Nur wer mitmacht, kann mitreden» dürfen Eltern sich gewisse digitale Aktivitäten von ihren Kindern zeigen und erklären lassen und sich schliesslich auch selbst mal darin ausprobieren. Eine solche Selbsterfahrung macht es für Eltern viel einfacher sich in die Lage des Kindes zu versetzen und gewisse emotionale Einflüsse und Gefühlslagen besser zu verstehen.

Auf einer solchen vorurteilsfreien Gesprächsebene können nun auch Einflüsse von digitalen Medien auf das Leben der Familienmitglieder (Eltern sind Teil der Digitalisierung und sollten sich da nicht ausschliessen) diskutiert werden. Fragen wie «Wie verdienen Gameentwickler ihr Geld?», «Welche Maschen werden genutzt, um uns an Games oder Apps zu binden?» oder «Wie versuchen Social Media uns zu manipulieren?» stärken die Sensibilität des Kindes für dieses Thema und führen somit ebenfalls zu einer gestärkten Medienkompetenz.

Auf dieser Gesprächsebene wird es für Eltern auch einfacher das eigene Kind für alternative Freizeitaktivitäten zu motivieren. Dabei ist die Vorbildfunktion der Eltern im Umgang mit digitalen Medien und alternativen Aktivitäten sicherlich entscheidend. Eine andere Möglichkeit ist eine motivierende Vereinsaktivität oder ein Hobby. Das kann vom Skateverein bis hin zu einem Jungscharverein reichen, wo das Kind seine analogen Skills in verschiedenen Bereichen fördern und eine Verbundenheit für Outdooraktivitäten entwickeln kann.

Sie haben Frage – einfach hier posten: Digitale Medienerziehung – fragen Sie Ben Fisch

Bild Sujet: pixabay-Gerd Altmeister

 

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Unser Experte

Ben Fisch

Der Schweizer Ben Fisch ist studierter Sozialpädagoge (dipl. Sozialpädagoge FH) und hat sich auf den Bereich der Medienerziehung und Medienpädagogik spezialisiert. Er bezeichnet sich selbst als «Digital Native», weil er im digitalen Zeitalter aufgewachsen ist und im Jugendalter sehr viele Erfahrungen im Bereich des Gaming gesammelt hat: „Ich bin mit FIFA, Anno, GTA und Egoshootern groß geworden und kenne somit die kindliche Perspektive dieser Thematik aus der eigenen Lebenserfahrung.“

Diese persönlichen Erfahrungen ermöglichen es ihm die unzähligen Expertenmeinungen aus Forschung oder Theoriebüchern reflektiert zu betrachten und differenziert zu hinterfragen.

Den größten Vorteil seiner Arbeit sieht er darin, dass er Eltern und anderen Pädagogen im Bereich der Medienerziehung die Perspektive der Kinder näherbringen kann. Er kann Eltern und Pädagogen aufzeigen, welche Strategien und Methoden angemessen sind, ohne dabei in eine vorwurfsvolle Haltung oder gar in schier endlose Konflikte zu geraten.

Seit einem Jahr betreibt Ben Fisch seinen, im deutschsprachigen Raum einzigartigen YouTube Kanal „Lösungen für die Medienerziehung“ mit reichlich Tipps und Inspirationen für Eltern: https://www.youtube.com/channel/UCNakARcVROySPMHMeML5nyg

Mehr zu Ben Fisch und seiner Arbeit erfahren Sie außerdem hier: https://kindheit2punkt0.com/

Bild: beigestellt