Hörst du mich?

Das Gehör- und Gleichgewichtsorgan

ist ein komplexes Wunderwerk: Außenohr, Mittelohr, Innenohr, das Hörzentrum im Gehirn – das alles spielt perfekt zusammen und ist stets im Einsatz, auch im Schlaf. Damit wir hören, verstehen, uns im Raum orientieren und sprechen können, muss aber auch jeder Teil zu jeder Zeit einwandfrei funktionieren!

Früherfassung

Ein bis zwei von tausend Neugeborenen kommen mit einer angeborenen Hörstörung zur Welt. Die häufigsten Gründe dafür sind Vererbung und virale Infekte während der Schwangerschaft. Um Hörstörungen frühzeitig zu erfassen, gibt es hierzulande seit 2003 das Hörscreening für Neugeborene. Die Untersuchung ist kurz und schmerzlos, am besten funktioniert sie, wenn das Baby schläft: Dabei wird eine kleine Sonde in sein Ohr eingeführt, die zuerst einen kurzen Schallreiz erzeugt und dann den austretenden Schall misst. Das Ergebnis: „Test geschafft“ oder „Test nicht geschafft“. Im zweiten Fall wird der Test nach fünf bis sechs Wochen wiederholt. 80 Prozent der Babys schaffen ihn dann; meist war beim ersten Mal noch Fruchtwasser im Ohr oder – vor allem bei Frühchen – die Hörbahn noch nicht voll entwickelt. Leider nehmen Eltern diese wichtige und kostenlose Untersuchung viel zu wenig in Anspruch. Dr. Petra Wiesinger, HNOFachärztin in Wien: „Der Test kann auch in einer Praxis in Ihrer Nähe vorgenommen werden.“ Tipp: Auf jeden Fall vorher anrufen, ob der Arzt auch entsprechend ausgerüstet ist.

Früherkennung – Frühbehandlung

Endet, wie bei 20 Prozent, auch der zweite Test mit „Nicht geschafft“, dann beginnt die Suche nach der Ursache. Sehr wenige Kinder sind übrigens völlig taub! Ist der Hörnerv funktionsfähig, wird die Hörschwelle und damit der Grad der Hörminderung bestimmt – davon hängt ab, ob ein Hörgerät ausreicht oder eine Hörprothese implantiert werden sollte. Schnelles Handeln ist jedenfalls ein absolutes Muss. Nur eine frühzeitige Korrektur der Hörminderung – am besten in den ersten Lebensmonaten, auf jeden Fall aber vor dem zweiten Geburtstag – stellt eine unbeeinträchtigte Sprachentwicklung des Kindes sicher. Warum? Ohne gutes Gehör kein Erkennen verschiedener Tonfälle, kein Erfassen abstrakter Begriffe – und somit keine normale Sprachentwicklung.

Kinder und Hörgeräte

Hörgeräte basieren auf dem Prinzip der Schallverstärkung: Bei Kindern bis 14 werden aus Sicherheitsgründen immer „große“ Hinter-dem-Ohr-Geräte (HdO) verwendet. Das HdO hängt mit einem Winkelstück, das ein Mikrofon enthält, über der Ohrmuschel; der Schall wird über einen Schallschlauch in das Ohrpassstück und weiter in den Gehörgang geleitet. Hörgeräte für Kinder sind bunt, das Batteriefach ist gesichert . Wichtig ist die beidseitige Versorgung. Alle sechs Monate wird überprüft, ob die Einstellung noch passt. Bei Kindern, die noch nicht sprechen können, geschieht das mit „Verhaltensaudiometrie“: Wie verhält sich das Kind während des Tests? Ab welchem Verstärkungsgrad wird es dem Kind unangenehm? Das Ohrpassstück wird nach Bedarf ausgewechselt, das Hörgerät selbst nur dann, wenn es nicht mehr ausreichend verstärkt. Diese Leistungen übernehmen die Krankenkassen. Praktische Unterstützung im Umgang mit dem kindlichen Hörgerät bietet übrigens die „Neuroth Kinder-Akustik“ in Wien-Meidling.

Das Cochlea-Implantat (CI)

Reicht die Leistung eines Hörgerätes nicht aus, dann wird eine Hörprothese implantiert, die den Schall nicht verstärkt, sondern in elektrische Signale umwandelt. In Österreich werden pro Jahr – in einer rund dreistündigen Operation unter Vollnarkose und mit viertägigem Spitalsaufenthalt – 100 Cochlea-Implantate (Cochlea = Hörschnecke des Innenohrs) eingesetzt, die Hälfte davon bei Kindern. Kostenpunkt: jeweils 30.000 Euro. Die Kosten trägt prinzipiell die Krankenkasse – allerdings nur für ein Ohr. Der Grund: Für den reinen Spracherwerb reicht ein funktionsfähiges Ohr aus. Bei besonderer medizinischer Begründung wird auch ein CI für das zweite Ohr finanziert. Das Implantat sollte ein Leben lang halten.

Früherziehung

Auch ein CI ist aber nur eine Prothese, das Hörgerät nur eine Hörhilfe. Für ein möglichst natürliches Sprachvermögen ist „Spracherziehung“ unerlässlich. Notwendige Logopädiestunden werden ohrenärztlich verschrieben und von den Krankenkassen bezahlt. Das tägliche Üben ist dann Aufgabe der Eltern. Worauf Sie generell achten sollten: zum Kind hingewendet, nicht zu laut und nicht zu schnell, in kurzen Sätzen sprechen. Fehlerhaftes richtig wiederholen, nicht „ausstallieren“. Eine ausgeprägte Sprachmelodie erleichtert das Verstehen, Mimik und Lippenbewegung sind wichtige Erkennungshilfen – übertreiben Sie also ruhig ein bisschen! Und haben Sie Verständnis: Auch die beste Hörhilfe kann die Leistung des natürlichen Gehörs nicht ersetzen.

Weitere Gefahrenquellen

Viele Kinder haben vergrößerte Rachenmandeln – im Volksmund „Polypen“ genannt –, die die Nasenatmung behindern und die Tube, den Verbindungsgang zwischen Rachen und Ohr, verlegen. Sie müssen entfernt werden. Da die Tuben bei Kindern noch sehr kurz sind, kommt es leichter zu Mittelohrentzündungen mit stechenden, klopfenden Schmerzen, schwerem Krankheitsgefühl und hohem Fieber. Bakterielle Infektionen werden mit Antibiotika behandelt; abschwellende Nasentropfen und schmerzstillende Mittel begleiten die Therapie. Eine schwere Mittelohrentzündung kann auch auf das Innenohr übergreifen, daher wird nach Abheilen der Infektion ein Hörtest durchgeführt. Manchmal muss auch das Trommelfell punktiert werden, um Schleim abzusaugen. Reicht das nicht, wird ein kleines Drainageröhrchen eingesetzt, damit das Sekret nach und nach abfließen kann. Besonders gefährlich sind durch Viren verursachte Ohrentzündungen bei Röteln, Mumps, Grippe und Gehirnhautentzündung. Bester Schutz ist hier die entsprechende Impfung.

Wenn die Ohren zweimal klingeln

Laute Musik via Kopfhörer erreicht oft 100 dB (Dezibel) – das schaffen die Haarzellen in der Ohrschnecke maximal zwei Stunden pro Woche, ohne Schaden zunehmen. Zum Vergleich: Ein Rasenmäher lärmt mit 80 bis 90 dB … Besonders ungünstig sind Abspielgeräte ohne Lautstärkenbegrenzung und Kopfhörer, die im Gehörgang getragen werden. Professor Andreas Temmel, HNO-Facharzt und Oberarzt am AKH Wien, warnt auch vor den Tücken der Discos: „Die Ausgangslautstärke von etwa 90 dB wird jede Stunde um weitere 5 dB erhöht, da sich das Gehirn an den Lärm ,gewöhnt‘ – nur die feinen Haarzellen in der Ohrschnecke tun es nicht. Werden sie zu lange oder zu heftig malträtiert, rächen sie sich durch vorübergehende Hörminderung oder im schlimmsten Fall durch vorzeitiges Zugrundegehen. Für immer …“ Davon weiß auch das Bundesheer ein Lied zu singen: In den letzten Jahren war bei der Musterung Schwerhörigkeit der zweithäufigste Grund für Untauglichkeit.

Warnzeichen

Achten Sie darauf, ob sich bei Ihrem Kind Auffälligkeiten zeigen: Das Baby reagiert nicht auf Geräusche, deren Quelle es nicht erkennen kann, oder verstummt nach der Lallphase (8. bis 10. Monat). Das Kind lernt spät sprechen – zum Vergleich: Ab 12 Monaten sollte es zweisilbige Wörter von sich geben, ab 15 Monaten mehr als „Mama“ und „Papa“, mit zwei Jahren mindestens 50 Wörter beherrschen –, es spricht undeutlich oder immer zu laut. Möglicherweise telefoniert es nur mit einem Ohr oder wechselt ständig, ohne auf die Stimmen zu reagieren … Je schneller in diesem Fall eine professionelle Versorgung erfolgt, desto größer die Chance, dass Ihr Kind bald protestiert: „Ich bin doch nicht taub!“

Mag. Elisabeth Sorantin

Foto: Samara.com/Shutterstock.com

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