Seelenschmerz

Gezielte Hetze, Gerüchte, Psychoterror machen immer mehr Schüler krank. Intelligenz und Begabung allein entscheiden längst nicht mehr über den Schulerfolg. So schützen Sie Ihr Kind vor Mobbing-Attacken.

Erst kürzlich musste sich eine 15-jährige Schülerin am Landesgericht Feldkirch verantworten: Sie hatte eine Klassenkameradin im Bus wiederholt gemobbt, per SMS („Wenn du aussteigst, schlag ich dich zusammen“*) bedroht. Urteil: 320 Euro Geldstrafe. 120 Euro muss die Schülerin selbst berappen, der Rest: Bewährung. An die Öffentlichkeit dringen meist nur Fälle, bei denen rohe Gewalt oder eine Verurteilung im Spiel ist.

Mobbing an Schulen – auch Bullying genannt – ist längst Bestandteil schulischen Alltags: Anspucken, Sessel unterm Hintern wegziehen, Schultaschen in den Müll stopfen, Zettel wie „Schlampe“ oder „Loser“ an den Rücken kleben; im schlimmsten Fall brutale Fausthiebe, Tritte oder Geld wird erpresst. Im Internet tauchen peinliche Fotos oder bösartige Handy-Filmchen auf. Ziel der Mobber: Ausgrenzen, demütigen, tyrannisieren.

Mobbing tut der Seele weh

Meist unbeachtet hingegen bleiben Demütigungen, die im Verborgenen stattfinden: verbale Gewalt oder Ausgrenzung (mit dir spreche ich nicht). Perfid dabei: Immer mutiger werden die Täter, immer mehr schämen sich die Gemobbten. Aus eigener Kraft dem Terror entkommen? Unmöglich! So scheint es. Aus Angst selbst Angriffsfläche zu bieten, rotten sich viele Schüler auf Seite des Mobbers zusammen oder schweigen. Signalisieren: Mobber, du hast freie Bahn!

„Nicht jeder versteckte Turnschuh oder Streit ist automatisch Mobbing“, erklärt Rosa Stieger, Klinische- und Gesundheitspsychologin, BHS-Professorin an einer Tourismusschule in Wien. „Mobbing ist ein Prozess, ein aggressives Vorgehen, das immer wieder passiert.“ Über Wochen, Monate, gar Jahre. Die Mobbing-Expertin beschäftigt sich mit Gewaltprävention an Schulen, beobachtet, dass „Häufigkeit und Härte der Fälle alarmierend zunehmen“. Immer mehr Kinder starten mit einem Gefühl der Angst in den Schulmorgen: die einen fürchten Lernstress, die anderen ihre Klassenkameraden.

Dir zeig ich’s!

„Wer mobbt, handelt stets mit Absicht und Kalkül: Dem anderen soll bewusst Schaden zugefügt werden“, weiß Rosa Stieger. Mobber treiben ihre Mitschüler in die Verzweiflung, geben sich abgeklärt. Auf Empathie, Respekt oder Menschenwürde haben sie „null Bock“.

„Typisch bei Mobbing ist ein Machtungleichgewicht zwischen Opfer und Täter“, so Rosa Stieger. Stets kämpft ein Schwächerer gegen einen überlegenen Einzelnen oder eine Gruppe. Meist auf verlorenem Posten.

Ich hasse die Schule

Eltern ist nicht immer klar, was sich zwischen Kids abspielt. Bedrängte Kinder und Jugendliche neigen dazu, sich zurückzuziehen, in der Seele das beklemmende Gefühl: Jetzt geht’s bergab. Und schuld daran bin ich.

Rosa Stieger macht deutlich: „Eltern müssen achtsam sein, verdächtige Symptome wahrnehmen: Ist das Kind traurig? Plötzlich – außerpubertär – aggressiv? Klagt es über Kopf- oder Bauchschmerzen? Appetitlosigkeit? Alpträume? Kommt es mit beschädigten Schulsachen, blauen Flecken oder Kratzern nach Hause?“

Wehret den Anfängen

„Potenzielle Mobber kristallisieren sich bereits zu Schulbeginn schnell heraus“, weiß Rosa Stieger. „Diese Negativ-Leader überschreiten Grenzen, agieren manipulativ, können mit Ärger oder Zorn nicht umgehen.“ Täter müssen Widerstand spüren: Bis hierher. Nicht weiter! Je früher, desto besser. „Die Spirale der Gewalt muss durch beherztes und intelligentes Eingreifen unterbrochen werden“, so die Expertin. „Zuschauen, Wegschauen, Stillschweigen ist die schlimmste Form von Aggression. Deshalb müssen LehrerInnen Ich-Stärke und Zivilcourage zeigen. Klarmachen: ich bin präsent, unterstütze, wer Schutz braucht, lasse nicht zu, was nicht zugelassen werden darf.“ Punkt. Täter spüren in der Regel schnell, dass sie hier keine Chance haben.

Mobbing lauert überall

Einer gegen alle? Viele gegen einen?  Gemobbt wird quer durch alle Nationalitäten und Bildungsschichten. „Typische Mobbing-Opfer gibt es nicht“, sagt Rosa Stieger. Die neuere Mobbing-Forschung interessiert sich weniger für die Person als für die Situation. Was tut ein Jugendlicher, um Opfer zu werden. Und vor allem – was nicht?
 
„Heranwachsende müssen lernen, sich zu wehren. Auf sozialverträgliche Weise“, so Rosa Stieger. „Wie sage ich: ,Nein! Hör auf!‘ oder ,Gib das zurück!‘“ Vor allem die Körpersprache entscheide darüber, wie Kids bei anderen ankommen. Sich aufrecht und breitbeinig hinstellen, wütend schauen, mit den Augen rollen signalisiert: Nicht mit mir! Der Mobber erfährt Unerwartetes, tritt einen Schritt zurück. Manchmal genügt schon ein kleiner – einstudierter – Satz, eine selbstbewusste Antwort auf eine Hänselei.

Gemein sein, schikanieren, drangsalieren

„Mobber sind meist Ich-schwache Menschen“, sagt Rosa Stieger. „Sie sind süchtig nach dem Gefühl der Erhöhung. Merken, dass sie Angst auslösen können. Das gefällt.“ Gleichzeitig treten sie forsch und selbstbewusst auf. Vermitteln: „Du bist klein, du musst dich unterordnen, sonst …“

Hol dir Hilfe!
Eltern empfiehlt die Mobbing-Expertin „Beobachtungen und Vorfälle in einem Mobbing-Tagebuch festzuhalten, sofort bei Lehrer oder Klassenvorstand Unterstützung zu suchen, das Fehlverhalten öffentlich zu machen. Gemeinsam mit der Schulleitung an einem Strang zu ziehen und – auf keinen Fall zu schweigen.“ Kinder und Jugendliche brauchen Hilfe in der Not. Ebenso die Dulder und Schweiger, denn auch sie plagen Schuldgefühle. Viele wollen helfen, zaudern aber aus Angst, das nächste Opfer zu werden. Rosa Stieger warnt davor, ein Kind vorschnell von der Schule zu nehmen. Zuerst müssten alle Lösungsversuche (Schule reagiert lasch oder gar nicht, Schulleistung sackt rapide ab) gescheitert sein, bevor Eltern den Notausgang Schulwechsel in Erwägung ziehen sollten.

Durchblick und Mut
Mobbing ist mehr als nur Kinderkram oder alterstypische Rangelei. Es kann nur gedeihen, wo das Verhalten des Täters toleriert wird. Rosa Stieger bringt es auf den Punkt: „Stillschweigen bedeutet immer Zustimmung.“ Spürt der Mobbing-Initiator konsequenten Widerstand, dann hat es sich schnell ausgemobbt.


Foto: ollyy/Shutterstock.com

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