Den Lehrern bleibt die Spucke weg – sie verstehen den Lehrplan nicht

Das Urteil ist vernichtend: Unleserlich und praxisfern seien die neuen Lehrpläne. Da geht’s den Lehrer:innen jetzt wie den Schüler:innen mit manchen Ihrer Schulbücher: Unverständlich und praxisfern.

Jüngst hatte ich wieder einmal ein Erlebnis der besonderen Art. Ein Bekannter präsentierte mir eine Aufgabe seines Sohnes in Mathematik, welche aus einem Mathematiklehrbuch der vierten Klasse VS stammte. Ich – geeicht durch 12 Jahre Mathematik-Unterricht gepaart mit einer Matura in eben diesem Fach – dachte mir: „Ein Kinderspiel.“ Als ich den Text (siehe Info-Kasten) dann gelesen hatte wurde mir etwas schwummrig. Da stand ja nicht einmal eine Frage. Diese inklusive Antwort mussten die Kinder selbst finden.

Die Frage ist auf Grund der Angaben nicht zu lösen

Fürwitzig wie ich manchmal bin, meinte ich zu meinem Bekannten sein Sohn solle doch einfach als Frage hinschreiben: „In welchem Zimmer schlafen Franz und Fritz?“ Die Antwort wäre dann gewesen: „Auf Grund der Angaben im Text ist diese Aufgabe nicht lösbar.“ Eine korrekt Antwort auf ein korrekte Frage, oder?
Mein Bekannter fand den Vorschlag weniger witzig und bestand darauf, dass ich eine vernünftige Frage und Antwort finden solle. Obwohl ich, außer in der Volksschule, keine besondere Leuchte in Mathematik war, finde ich mathematische Rätsel durchaus amüsant. Was weniger an meinem Mathematikunterricht liegt, als an dem genialen Buch des britischen Autors Simeon Singh „Fermats letzter Satz: Die abenteuerliche Geschichte eines mathematischen Rätsels“, welches ich Jahre nach meiner Matura geradezu verschlungen habe. Ein Buch, das einem, spannend geschrieben in die Geschichte der Mathematik einführt und mit gar erstaunlichen Beispielen – auch solche wie man mit Hilfe einer ganz simplen mathematischen Anwendung zum Millionär werden konnte – aufwartet. Sehr zu empfehlen für alle, die in der Mathematik nichts als eine trockene blutleere Angelegenheit ohne Bezug zur Realität sehen.

Vieleicht, oder doch Vielleicht?

Ups! Verzeihen Sie die Abschweifung – zurück zum eigentlichen Thema oder angelehnt an Goethes Faust: Zurück zu des Pudels Kern. Da die Autor:innen des Textes einen kleinen Tipp verfasst hatten, konnte die Lösung ja nicht allzu schwer sein, dachte ich mir. „Vieleicht (!) hilft dir bei der Lösung eine Tabelle“ stand da zu lesen. „Vielleicht“ schreibt man zwar mit zwei „ll“, aber wahrscheinlich stand den Autor:innen noch keine automatische Rechtschreibprüfung zur Verfügung oder der Korrektor/die Korrektor:in hatte einen schlechten Tag oder noch schlimmer der zuständige Verlag hat alle Korrektor:innen eingespart, weil Schulbücher ja vor allem eines sein müssen: billig. Unbotmäßig abgelenkt durch diese neuartige Schreibweise des Wörtchens „vielleicht“, die hoffentlich nicht auf die neue deutsche Rechtschreibung zurückzuführen ist, begannen meine grauen Zellen mit etwas Verspätung dann doch zu arbeiten. Und ich schwöre Ihnen: Sie liefen auf Hochtouren. Immer wieder schoss es mir durch den Kopf: Tabelle, Tabelle, Tabelle …
Nach rund einer dreiviertel Stunde des Rätselns – als sich in meinem Kopf bereits die ersten Anzeichen eines „Hohlraumsausens“ ausbreiteten – beschloss ich die Tabelle, Tabelle sein zu lassen und auf alt bewährte Mittel, die ich meinem Mathematiklehrer im Gymnasium zu verdanken habe, zurückzugreifen. Wenn man die richtige Frage einmal gefunden hat, kann man die Rechnung mit einer Gleichung mit zwei Unbekannten auflösen. Nach ein paar Rechenschritten hatte ich – Heureka – tatsächlich die korrekte Lösung gefunden.

Ein spanisches Dorf mehr

Allein, bei meinem Bekannten stießen diese, meine Bemühungen auf wenig Gegenliebe. „Des hobn’s ja noch gor nit glernt“, meinte er und warf den Computer an, um mit Hilfe des allwissenden Google in dessen Suchfeld er einfach den Text hineinklopfte im Internet die richtige Lösung für die Aufgabe zu finden. „Wie gewöhnlich“, oder um es bildungssprachlich zu formulieren „wie profan“, dachte ich mir und wollte mich ob der Ignoranz meines Bekannten schon entsetzt abwenden, als mein Blick auf den dort präsentierten Lösungsvorschlag aus dem Schulbuch fiel.
Das hätte ich nicht tun sollen, denn seither ist meine Welt der Mathematik um ein spanisches Dorf reicher. Oder um es einfach auszudrücken: Diese Lösung wäre mir niemals eingefallen und ganz ehrlich: Ich habe größte Zweifel daran, dass diese Lösung einem Viertklässler einfallen würde.
Den Kindern bleibt letztlich allerdings ein Trost: Es geht Ihnen wie dieser Tage den Gewerkschaftsvertretern der Lehrer:innen. Die einen verstehen die Schulbücher nicht, die anderen die Lehrpläne. Laut einem Artikel der Tageszeitung der Standard meinen die Gewerkschafter:innen zu den neuen Lehrplänen: Sie sind teils „unleserlich verfasst“ und in der Praxis nicht umsetzbar.

Unleserlich und praxisfern – dem bleibt nichts hinzuzufügen…

meint, ergebenst
Ihr
Gernot Goldegg

 

Übrigens sollten Sie in den Schulbüchern Ihrer Sprösslinge ähnliche Aufgaben finden, würden wir uns freuen, wenn Sie sie unten in den Kommentaren posten.
Genau dafür haben wir – auf vielfachen Wunsch unserer Leser:innen – dieses neue Kommentar-Tool entwickelt.
Sie dürfen natürlich auch andere Kommentare zum Thema posten – von Beschimpfungen des Autors oder anderer Diskussionsteilnehmer:innen ersuche ich Sie aber abzusehen😉.

Bild oben:  pixabay/PublicDomainPictures

Bild rechts: pixabay/Peggy und Marco Lachmann-Anke

 

 

 

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Die Aufgabe im O-Ton:

„Für 46 Kinder stehen auf der Schullandwoche Zweier- und Viererzimmer zur Verfügung. Insegesamt gibt es 15 Zimmer. Es bleibt kein Bett frei.

Finde ein passende Frage und beantworte sie.

Tipp: Vieleicht hilft dir bei der Lösung eine Tabelle.“

 

Gerne können Sie, werte Leserinnen und Leser in den Komentaren unten Ihre Lösung präsentieren.

Quelle für die Aufgabe: „Alles klar! Mathematik für erfahrene Schulkinder“, Veritas Verlag

P.S.: Für alle die nachlesen wollen – Hier finden Sie den Begutachtungsentwurf aller neuen Lehrpläne:

Alle neuen Lehrpläne auf einen Blick – Begutachtungsentwurf

…. und hier noch den für die Volksschule – 128 Seiten Literatur pur 😉:

Begutachtungsentwurf für den neuen Volksschul-Lehrplan