Diagnose Krebs – und alles ist anders

Ein Tumor. Bösartig. In der Speiseröhre meines Mannes (38). Die Diagnose schleudert bange Fragen in unsere bisher heile Welt: Wie bewältigen wir diese Krise? Was sagen wir unserem Kind?

Schläuche. Überall Schläuche. Stricknadeldünne. Daumendicke. In Hals, Arme und Gedärme gepfropft. In den Körper meines Mannes träufeln transparente Tröpfchen, aus ihm schliert braun-orange Flüssigkeit in klobige Glasbehälter, die neben dem Krankenbett auf dem Boden stehen. Da liegt er. Mein Mann. Lächelt nicht, hebt nicht die Hand. Von einem Tag auf den anderen ist er nicht mehr der, den ich kenne. Ich stehe da, unseren kleinen Sohn (5) fest an der Hand. Denke: Was wütet bloß in dir?

Schluckbeschwerden. Harmlos, klar!

Aber zurück zum Anfang. Sieben Wochen zurück: Wir warten auf das Ergebnis. Wollen Entwarnung. Vielleicht  ein Antibiotikum für den vermeintlichen Virus, der meinem Mann seit etwa vier Monaten das Schlucken erschwert. Eine Gastroskopie jedoch fördert das Schlimmste zutage: „Ein Tumor.Bösartig. OP-Termin in fünf Tagen“,  erklärt uns die Ärztin. Das erste Gefühl: inneres Zittern, herzrasender Schreck. Klar, es gibt kaum ein Leben, das nicht irgendwann unvermutet ins Wanken gerät. Aber doch nicht unseres.

Keine Zeit zum Denken

Schluckbeschwerden (keine Schmerzen) und Krebs. Wie passt das zusammen? Hunde, die beißen, bellen nicht“, erklärt Dr. Martina Steinhardt, Psychotherapeutin und Psychoonkologin aus Wien ein geläufiges Sprichwort aus ihrem beruflichen Umfeld. Heißt umgemünzt auf den Krebs: Als der Tumor meines Mannes leise wuffte (Schluckbeschwerden), hatte er sich längst unbemerkt in die Speiseröhre verbissen. Heimtückisch. Hässlich. Nur eine sechsstündige komplizierte Operation – ein Teil der Speiseröhre sowie des Magens werden entfernt – macht ihm den Garaus. Glück im Unglück: Alles gut, noch hat er nicht gestreut, der Krebs. Eine prophylaktische Chemo- und Strahlentherapie ist trotzdem nötig.

Dasein, weil es schlimm ist

Die ersten drei Nächte nach der OP kauere ich auf einem Plastikschemel neben dem Krankenbett meines Mannes. Schrecke immer wieder hoch. Tröste, beruhige, wische Erbrochenes und Schleim vom Boden, versuche meinen Mann seelisch aufzufangen. Döst er endlich, schließe ich Bündnisse mit höheren Mächten. Schwöre. Bete. Flehe. Versuche in den langen Stunden der Nacht einen Sinn zu sehen, selbst in dem Elenden, das uns gerade geschieht. Vergebens. Jetzt Kraft finden, Stärke zeigen, an dieser Krise wachsen statt einzuknicken – alles leichter gesagt als getan.

Das macht Mut!

Er ist tapfer, mein Mann. Klagt nicht. Kämpft. Ringt die Schmerzen nieder. Nie fragt er: warum ich? Auf einen Rollator gestützt wankt er zwei Wochen nach der OP erste Schritte den Korridor entlang. Ich bugsiere einen sperrigen Rollstuhl hinterher. „Los Papa,noch fünf Schritte“, feuert unser Sohn ihn an. Ich würge eine hysterische Heulattacke zurück. Bis jetzt schien alles so selbstverständlich: Die Kraft meines Mannes, die Gesundheit. Plötzlich bin ich mit Krankheit und Tod konfrontiert – durch den Menschen, der mir am nächsten steht. Ich weiß: Mein Elend ist nichts im Vergleich zu dem, was mein Mann gerade aushalten muss.

In Papas Hals steckt ein Knödel

„Der Knödel heißt Krebs. Deshalb hat der Doktor Papa operiert. Der ist jetzt wieder gesund“, so rückt unser Sohn verwirrende Eindrücke in seiner Welt zurecht. Bestaunt mehr interessiert als geschockt die mit Metallklammern zugetackerten Narben seines Vaters. „Kinder erleben sehr bewusst die Zustände mit, in denen sich ihre Eltern befinden, wissen mehr als man denkt“, sagt Martina Steinhardt. „Wichtig ist, dass Papa das Gespräch mit dem Sohn sucht, Fragen kindgerecht beantwortet.“ Und das tut er auch. Heulen? Kann jeder! Es sind harte Tage. Dennoch: Nie fühle ich mich von meiner inneren Kraft abgeschnitten. Halte eisern an meiner Strategie fest: Ich lasse keine Wehleidigkeit zu. Weder bei meinem Mann noch bei mir selbst. Schon gar nicht bei rührseligen Verwandten. So manchen mag ich verprellen. Na und?
Von der unterschwelligen Angst, meinen Mann zu verlieren, nicht mit ihm zusammen alt werden zu können,lasse ich mich nicht in die Knie zwingen. Ich will nicht in den Abgrund sehen. Sorge mich bewusst um die Gesundheit meines Mannes, nicht „um sein Leben“. Mein Mann ist krank, und wer krank ist, kann gesunden. Punkt! „Die Gleichung: Tumor = Krebs = Tod stimmt heutzutage längst nicht mehr“, sagt Martina Steinhardt und zitiert die Aussage einer ehemaligen Patientin, die sagte: „Über Metastasen reden wir, wenn Metastasen da sind.“ So wollen auch wir es halten.

Schönreden nervt!

Ich bekomme auch die Gefühle der anderen zu spüren. Vermeintlich tröstende Sätze wie „Alles wird gut“, „In einem halben Jahr ist alles anders“, „Bei meiner Tante war das so…“, prallen an mir ab. Solchen Leuten würde ich am liebsten ins Gesicht springen. Wer mir damit ankommt, nimmt meine/unsere neue Realität nicht ernst, spielt die Krebserkrankung meines Mannes, unsere Ängste herunter. Am schlimmsten waren Freunde, die ihre Mitleidsbekundungen via SMS versandten – von denen möchte ich nie wieder hören. Es gab aber auch Menschen  um mich, die sofort wussten, was zu tun ist, die mir halfen, den Schmerz zu schultern. Die nicht redeten, sondern handelten: die mit unserem Sohn auf einem Berggipfel picknickten, mich vom Krankenbett meines Mannes wegschleppten oder bei mir zuhause ein Gebirge an Bügelwäsche abtrugen. So bin ich manchen Freunden näher gerückt, von anderen habe ich mich endgültig entfernt. Vom Glück der kleinen Dinge  Mein Sohn und ich kuscheln jeden Abend in Decken gemümmelt auf der Terrasse, suchen den Himmel nach Sternschnuppen ab. Von der heilsamen Kraft im Jetzt zu leben, hatte ich bereits gelesen. Jetzt plötzlich kann ich es: Ich wuschle meine Nase in den Lockenschopf meines Sohnes, atme Glück, Trost und Kraft. Plötzlich sieht die Welt nicht mehr ganz so düster aus. Vertrauen ins Leben, ich will es nicht verlieren.

Den Krebs akzeptieren

Wie geht das, bitte? „Indem man wieder in Harmonie mit dem eigenen Körper kommt“, erklärt Martina Steinhardt. „Indem man mit Krebs lebt wie etwa mit Diabetes oder Bluthochdruck. Ebenfalls Krankheiten, die lebensbedrohlich sein können aber nicht müssen.“ So versuche ich meine Erwartungen der Realität anzupassen, mich über kleine Schritte zu erfreuen, keine Wunder zu erwarten. Früher hab ich mich darüber aufgeregt, dass mein Mann Nudeln in kochendes Wasser schwappt, sich dann vor den Computer hockt, Wasser und Schaum überkochen lässt. Heute wische ich die Sauerei von der Herdplatte – und zwar ohne zu Nörgeln. Immerhin kocht er, hat Hunger – ein gutes Zeichen. Augen auf und durch! In wenigen Tagen beginnt mein Mann eine (prophylaktische) Chemound Strahlentherapie. Wir haben einen klaren Blick, auf das, was kommt. Wissen, mein Mann bekommt alles, was er braucht. Also halten wir uns an das, was mein Mann als Fluglotse gelernt hat: Ready for departure? (Bereit zum Start?) Yes we are. Und: Keine Panik – auch wenn Trubulenzen uns auf unserer Reise gelegentlich kräftig durchbeuteln!
Text: Beate Giacovelli
Foto: La Vieja Sirena – shutterstock.com
Wie esse ich gesund während der Krebstherapie? 6 Tipps von Dr. Irene Kührer, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Oberärztin an der Univ.-Klinik für Chirurgie, Wien, www.irenekuehrer.at
  • Bereichern Sie Ihren Speiseplan mit Soja, einer leicht verdaulichen Eiweißquelle. Sojamilch- oder Joghurt sind ideale Mix-Partner für Fruchtdrinks, die den Magen nicht belasten.
  • Verwenden Sie nur pflanzliche Öle in Glasflaschen. Zwei Teelöffel pro Tag sind genug.
  • Essen Sie Obst und Gemüse in den Signalfarben Gelb, Rot, Lila und Grün – sie enthalten wertvolle Schutzstoffe.
  • Greifen Sie fünf Mal pro Tag zu einer Handvoll Obst und Gemüse: 350 g Gemüse und 250 g Obst.
  • Halten Sie Ihre Darmflora gesund: Ballaststoffe in Hülsenfrüchten stärken den gestressten Darm sowie das Immunsystem.
  • Vermeiden Sie kalte Abendessen mit Wurstwaren (so nehmen Sie oft unbewusst ein Übermaß an tierischen Fetten zu sich).

Infos und Unterstützung

Österreichische Krebshilfe, www.krebshilfe.net, Mo-Do: 9 – 17 Uhr, Fr: 9 – 12 Uhr, Tel.: 01 – 796 64 50, Fax: 01 – 796 64 50 – 9, E-Mail: service@krebshilfe.net
ÖGPO – Österreichische Gesellschaft für Psychoonkologie, www.oegpo.at
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