Corona Distance Learning: „Wo ist mein Sternchen“

Eltern, die zu tanzen beginnen, wenn ihre Kinder wieder zur Schule gehen, fand ich in der Vergangenheit peinlich. Der Corona Lock-Down hat mich eines Besseren belehrt. Doch diesmal haben sogar die Kinder mitgetanzt.

Endlich – die Normalität ist zurück. Ein warmer Frühlingsabend, ich treffe meine Freundin nach wochenlanger Ausgangssperre oder halt vermeintlicher Ausgangssperre. Treffpunkt ist mein Lieblingslokal, das seit kurzem wieder geöffnet hat. Wir sitzen draußen, der Baby-Elefant zwischen uns. Ein Thema ist schnell gefunden: Wie war das bei euch mit dem Homeschooling?

März 2020. Von einem Tag auf den anderen ist die Schule geschlossen und die Kids zu Hause. So weit so gut. Die Mailbox ist voll mit Informationen zum Distance Learning seitens der Schulleitung. Auch gut. Aber so ganz genau wissen wir nicht, was da auf uns zukommt. Montagmorgen – ok, eher Vormittag – sitzen meine beiden Jungs an ihren Tischen und warten auf Aufgaben. Sie finden das natürlich richtig spannend. Ich weniger…Kurz entschlossen schnappe ich mir unsere kleine Tafel und bekritzle sie mit einen Tagesplan für jeden. Bis mein Kleiner lauthals protestiert, dass am Montag keine Schönschreibübungen gemacht werden, sondern ein Diktat und warum ich das nicht wüsste. Hm, ich sollte meine Mailbox nochmals checken. Herr Schmidt hat geschrieben! Übrigens schon am Sonntag. Augenscheinlich hat er am Wochenende einen Blog Spot für seine Klasse eingerichtet. Erleichterung machte sich breit!

Perfekt gemacht. Ich klicke mich durch und bin begeistert! Alles da! Tagespläne mit Hausübungen, freiwillige Zusatzaufgaben, ein digitales Lernprogramm mit Wochenpensum, Bastelideen etc. Herr Schmidt hat sogar eine Videobotschaft an die Kinder gepostet! Mein Kleiner fühlt sich bestätigt und schnappt sich das Heft für Diktate…

Woche 1 hat rückblickend gut funktioniert. Die Arbeitsaufträge sind abwechslungsreich und gut dosiert. Eine gute Mischung von analogen und digitalen Aufgaben, aufgelockert mit einer netten Bastelarbeit. Am besten findet mein Jüngster aber die kurzweiligen Lern Apps, die er mit Begeisterung durchackert. Nun sind wir ein digital gut aufgestellter Haushalt, aber nicht jeder hat Laptops oder Tablets bis zum Abwinken. Herr Schmidt hat aber auch daran gedacht. Im Eingangsbereich der Schule liegen sämtliche Materialien auch in Papierform auf und können jederzeit abgeholt werden. Nicht in Klassenstärke versteht sich – Stichwort ökologischer Footprint, sondern einige Exemplare „on demand“ – wie es so schön heißt. In Woche 3 stieg der Bedarf an kopierten Arbeitsmaterialien plötzlich rasant an – der Drucker schreit nach neuen Patronen und wegen corona-bedingt langer Lieferzeiten schätzen auch wir die Möglichkeit, Übungsblätter von der Schule abholen zu können.

Funkstille. Meiner Freundin geht es am ersten Homeschooling-Tag sehr ähnlich, nur, dass sie keine E-Mail von der Lehrerin bekommt, geschweige denn einen Blog Spot. Sie versucht die Lehrerin anzurufen, die Mailbox ist deaktiviert. Rückruf bekommt sie keinen. Am Ende von Woche 1 dann eine E-Mail mit vagen Angaben, was die Kinder bis zu den Osterferien machen sollten, in der Annahme, dass danach der Schulbetrieb wieder aufgenommen wird. Danach ist Funkstille. Nie wieder etwas gehört….

Was ist mit Sternchen? Nach einer Woche Homeschooling sitzt mein Kleiner betrübt über einer Aufgabe, die ihm besonders gut gelungen ist und meint, dafür hätte er sicher ein Sternchen bekommen.  Und nein, von mir will er keines, er will eines von Herrn Schmidt. Ich schreibe Herrn Schmidt und die Antwort kommt prompt: Natürlich können wir Arbeiten jederzeit bei ihm abgeben – digital oder analog. Kind ist zufrieden.

Nicht nur Wochenpläne und Materialien, sondern auch die Interaktion mit den Kindern hat Herr Schmidt während der gesamten Zeit gepflegt. Arbeiten wurden auf dem Blog Spot veröffentlicht, die Kinder konnten Fotos oder Grußbotschaften an die Klasse schicken, die ebenfalls gepostet wurden. Die Seite wird fast zu einem virtuellen Klassenzimmer, in dem immer etwas passiert. Nicht zu vergessen die Zoom Meetings, die Herr Schmidt zweimal pro Woche mit den Kindern abhält. Die Kinder sind happy einander zu sehen und auch miteinander zu blödeln. Herr Schmidt kommt dabei eher selten zu Wort und ist sichtlich glücklich über die Stummschalte-Funktion, wenn er den Kindern von Zeit zu Zeit etwas Wichtiges mitzuteilen hat. Er macht keinen Unterricht über Zoom, vielmehr will er wissen, wie es den Kindern geht, ob sie gut mit den Aufgaben zurechtkommen, was ihnen Spaß macht, was ihnen eher keine Freude macht.

Hungerstreik. Es gibt auch einmal pro Woche ein Zoom Meeting für die Großen. Unser Lehrer fragt nach Feedback und Anregungen, die er auch regelmäßig umsetzt. Die Zoom Meetings mit den anderen Eltern sind für uns eine gute Gelegenheit uns auszutauschen. Belustigt und irgendwie erleichtert höre ich, dass es allen ähnlich geht. Die Erzählungen reichen von gecrashten Business-Video-Calls durch den Nachwuchs, über  WLAN Ausfälle und über den Haufen geworfene Tagesabläufe, bis hin zum Hungerstreik eines Buben, weil er seine Freunde nicht sehen kann und erst dann wieder vorhat zu essen, wenn er mit einem seiner Freunde zumindest einen Video Call machen kann.

Rollentausch mit Wertschätzung. Pünktlich zur Schließung der Schulen, werden wir mit zahllosen schadenfrohen Memos bombardiert, die sich über Eltern lustig machen, die von einem Tag auf den anderen in die Rolle des Lehrers katapultiert werden. Ich amüsiere mich königlich und irgendwie kann ich dem ganzen Corona Wahnsinn auch was Positives abgewinnen. Ein Perspektivenwechsel ist manchmal gar nicht so schlecht. Einmal in die Rolle des anderen zu schlüpfen verdeutlicht einmal mehr, was die Menschen, die unsere Kinder tagtäglich unterrichten leisten. Zwei Kinder zum Lernen zu motivieren und das tägliche Arbeitspensum zu schaffen ist neben meinem (eigentlichen) Job eine echte Herausforderung und ich erkenne, dass Unterrichten wirklich harte Arbeit ist. Nun, wenn man die bisherigen Zeilen liest, kann man erkennen, dass wir mit Herrn Schmidt auch einen außergewöhnlich guten Lehrer haben, aber meine Wertschätzung der gesamten Lehrerschaft gegenüber, ist während der letzten Wochen deutlich gestiegen.

Schulöffnung. Endlich! Die Kinder dürfen wieder zur Schule. In meinem früheren Leben, als ich noch kinderlos war, fand ich die Freudentänze von Eltern immer ganz schrecklich und grausam, wenn ihr Nachwuchs nach den Ferien mit Schultasche am Rücken endlich wieder von dannen zog. Heute habe ich nicht nur vollstes Verständnis dafür, sondern tanze genauso (Asche über mein Haupt). Aber nicht nur wir Eltern, sondern diesmal sind es vor allem die Kinder, die sich wie verrückt auf die Schule freuen. Endlich Freunde und Herrn Schmidt wiedersehen! Die Freude wird etwas getrübt, als wir das Briefing über die neuen Verhaltensregeln lesen, die zusammenfassend besagen, dass sich die Kinder de facto nicht mehr bewegen dürfen, was bei einem Haufen Achtjähriger sicher lustig wird. Wir sind gespannt, was unser Jüngster berichtet…Er kommt ganz glücklich nach Hause und meint, es war toll, weil sie nach dem Lernen einen Film geschaut hätten und nach einer weiteren Lernstunde in den Schulhof durften (natürlich nur jeweils eine Klasse).

Herr Schmidt hat sich augenscheinlich gut überlegt, wie er den kleinen Menschen das Sitzen erträglicher machen kann und hat gleichzeitig für Bewegung mit Sicherheitsabstand gesorgt. Für Verwirrung sorgt kurz die Ankündigung von Herrn Schmidt, dass jeden Tag Zoom Meetings aus der Klasse stattfinden sollen. Warum das? Die Kinder sitzen ja in der Schule…bis ich verstehe, dass die Zuhause-Kinder virtuell ins Klassenzimmer geholt werden sollen. Ein optionales Angebot, dass die meisten Kinder genutzt haben. Großartig! Die Kinder sind zumindest virtuell in der Schule und den Eltern wird das Leben wieder ein Stück leichter gemacht. Chapeau Herr Schmidt!

Sperrstunde. Oh, schon 23 Uhr. Normalerweise würden wir um diese Zeit noch ein Gläschen bestellen, aber was ist schon normal im Frühjahr 2020. Der Kellner bringt die Rechnung, meine Freundin und ich verlassen das Lokal und verabschieden uns – mit Abstand versteht sich. Am Nachhauseweg hänge ich meinen Gedanken nach. Zusammengefasst kann ich sagen, dass Homeschooling und Homeoffice zur gleichen Zeit eine äußerst explosive Kombination ist, aber rückblickend haben wir das ganz gut hinbekommen. Nicht zuletzt wegen des großen Engagements von Herrn Schmidt, der Kindern wie Eltern eine wirklich große Stütze war und unser (Schul)leben leichter gemacht hat.

Charlotte Murlo


Über die Autorin:
Die Autorin lebt und arbeitet in Wien. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder im Volksschulalter bzw. im Gymnasium. In der Kinderbetreuung konnte sie sich glücklicherweise mit ihrem Ehemann während des Lock-Downs abwechseln, weil beide selbstständig sind.

 

 

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