„Mami, Kakao!“ – so machen Sie sich zum Dienstboten …

Achtung Erziehungsfalle: Wer sich den Liebenden daheim dienend zur Verfügung stellt und ihnen alle Wünsche ohne Widerspruch erfüllt, macht Kind wie Partner zu Sklavenhaltern. Wollen Sie das? Nein? Dann sollten Sie das rasch ändern. Ein paar Tipps dazu wie das gehen kann.

»Mami! Kakao!«, ist ein häufiger Ausruf von Manuel, Mutters achtjährigem Sonnenschein. Solch exotische Worte wie »Bitte« oder »Danke« kommen im Wortschatz des süßen Fratzen leider nicht vor. Doch Manuels ganz offensichtlich schon gut „trainierte“ Mami springt jedes Mal auch ohne ein »Bitte« auf. Noch bevor Sohnemann mit seinem knappen Wunsch, vielmehr seinem „Befehl“ zu Ende gekommen ist.
Auch heute spielt sich die Szene zwischen den beiden wieder so ab: Während sich der kleine „Sklavenhalter“ gemütlich im Fernseh-Sessel räkelt, muss Mami heute sogar die Küchenleiter erklimmen. Die neue Dose Kakao steht leider im obersten Regal. Zu helfen wäre für den Kleinen in dem Fall schwierig – aber für solche Kleinigkeiten interessiert sich Manuel ohnehin nicht. Er sieht fern … und kaut genussvoll.
Doch heute kommt es noch „dicker“. Als der Kakao fertig ist, hat der nette Junge einen ebenso netten Kommentar für seine Mutter parat: „Wähh, der ist doch viel zu süß!“ Zugegeben, ein drastischer Bericht aus der Welt des häuslichen Sklaventums, aber dennoch: Tatsache! Es ist alles genauso passiert! So wie alles, worüber ich Ihnen in meiner Ratgeber-Reihe „Achtung, Erziehungsfalle!“ erzähle. Werksgarantie!

Glückliche Kinder?

Obwohl Manuels Mutter, genau wie so viele andere Mütter, stets zur Stelle ist, wenn das nächste Stück Unterwäsche liegen geblieben ist oder es gilt, einen Teller hinten nachzuräumen, müssen wir uns aus pädagogischer Sicht die enorm wichtige Frage stellen: Macht es Manuel und viele andere wie ihn zu wirklich glücklichen Kindern, wenn sie in der „angenehmen“ Situation sind, ständig bedient zu werden? Die Antwort darauf kann klarer nicht sein: „Nein!“ Obendrein stellt sich uns noch eine zweite, viel wichtigere Frage: „Wollen Kinder von sich aus überhaupt eine Person, die ihnen möglichst viele Arbeiten des täglichen Lebens abnimmt?“ Auch hierzu kann ich kaum eine klarere Antwort geben: „Nein! Wollen sie nicht!“

Aus den Augen des Kindes: Mama demontiert sich selbst

Stellvertretend für all die anderen Kinder sieht Manuel die Sache so: Für ihn ist seine Mutter immer weniger eine ernst zu nehmende Bezugsperson, vor allem nicht als Erziehende. In seinem Unterbewusstsein »demontiert« sich die geliebte und respektierte Mutter jedes Mal als starke Persönlichkeit, wenn sie stets sofort zu Diensten ist. Damit verliert sie als Mutter stetig an Wert. Im Gegenzug dazu gewinnt sie jedoch mehr und mehr Stellenwert als »Dienstmagd«. Doch Manuel braucht keine Dienstmagd – er braucht eine Mutter! Und zwar eine, die ihre unersetzbare Aufgabe als Führungspersönlichkeit erfüllt …

Vor kurzem habe ich mal Lukas, einen 9 jährigen „Wirbelwind“ gefragt, wie er die Sache mit dem Kakao sieht. Seine Antwort: „Also ich mache mir meinen Kakao immer selber. Und überhaupt mag ich es am Liebsten, wenn ich ganz alleine auf meine Sachen schauen darf und mir meine Mami auch sonst total viele Arbeiten anvertraut!“ Lukas nehme ich als ein total zufriedenes, ausgeglichenes Kind wahr. Mit einem gehörigen Schuss Selbstvertrauen übrigens …

Kinder wollen helfen und positiv wahrgenommen werden

Jedes Kind trägt wohl etwas in sich, das ich gerne das „Helferlein-Gen“ nenne. Kinder wollen am liebsten überall helfen, möchten sich andauernd betätigen und bei möglichst vielen Tätigkeiten mit einbezogen sein. Dabei wollen sie von Ihren Bezugspersonen positiv wahrgenommen und beachtet werden. Das genügt ihnen auch schon zum Glücklich sein! Und das Schönste ist: Viele kleine Arbeiten ausführen zu müssen, gibt ihnen nicht einen Augenblick lang das Gefühl, „überlastet“ oder „ausgenützt“ zu werden. Das kann, wie im Falle der sechsjährigen Marina, so weit gehen, dass sie von Mami eigenverantwortlich die „Oberaufsicht“ über die Sauberkeit der drei Wohnräume im Erdgeschoß des Hauses übernommen hat. Und dabei ist sie stets sehr gewissenhaft und ordentlich… Übrigens räumt und wischt sie meistens spielerisch! Das macht Spaß! Und deshalb macht sie es gerne! Marina reklamiert auch sofort verlässlich, wenn es gilt, Putz-Utensilien nachzukaufen. Und wenn sie mal Hilfe braucht, setzt sie kurzerhand ihren tollen Charme bei der großen Schwester oder gleich bei Mami ein.

Das ganze Geheimnis

Zwei wichtige Erkenntnisse: Wer erstens immer seinen Kindern liebevoll und eifrig als ich-räume-dir-alle-Sachen–hinten-nach–Butler zur Seite steht, nimmt ihnen nach und nach ihr ganz natürliches und sehr ausgeprägt vorhandenes „Helferlein–Programm“ weg! Gratis und im Kombipack dazu, kommt zweitens unseren Kleinen dabei leider noch etwas abhanden, das Kinder unbedingt brauchen: Das Gefühl, dass man ihnen vertraut! Das geschieht schon bei ganz unbedeutenden Dingen: Jene liebe Mami, die jedes Mal Töchterchens gerade eben benutzten Teller wegräumt, sagt ihrem Kind ganz klar damit: „Ich vertraue dir eigentlich nicht, dass du das auch alleine schaffen könntest!“ Das ist das schon ganze Geheimnis.

Wie alles beginnt

Ab hier beschäftigen wir uns genauer mit den Ursachen für das Entstehen des „häuslichen Sklaventums“. Es ist nämlich alles im wahrsten Sinne des Wortes „hausgemacht“! Diese Selbsterkenntnisse werden es uns schließlich viel leichter machen, vieles zu ändern.
Wissen Sie, wie es bei Manuel angefangen hat?
Dem Jungen wurde schon als Kleinkind der Schnuller jedes Mal zurückgebracht, wenn er in hohem Bogen aus dem Gitterbett flog. Schnell mal ein paar Tränen, und –schwupps – war Mamis hilfreiche Hand mit dem Schnuller wieder da!
Bis zu zehn Mal hintereinander, wenn es sein musste! Dass all dies bloß ein klassisches Austesten seiner Grenzen und damit ein Abklären des möglichen Sklaven-Potentials seiner Mutter war, hat Manuels Mutter damals wie heute nicht erkannt.
Somit nähern wir uns der allerwichtigsten Erkenntnis: Auch Kids wie unser Manuel werden nicht zum Sklavenhalter geboren. Kein Junior stellt sich zum ersten Mal auf seine Beinchen – sobald er sie endlich benutzen kann – und sagt: »Hey, ich hätte ab heute für den Rest meines Lebens gerne eine Leibsklavin, die mir meinen Schnuller überall hin nachträgt und die überhaupt von nun an sofort aufspringt, wenn ich was möchte!«
Zum häuslichen Sklaven wird man also nicht einfach von seinen Lieben gemacht! Man beginnt irgendwann selbst damit, indem man ganz unspektakulär beginnt, sich wie ein solcher zu verhalten.

Schluss mit dem Dienstboten-Image

Fratz Tipps
  • Sich bedienen zu lassen, ist für Ihr Kind wahrscheinlich bloß zu einer ungeliebten Routine geworden. Beenden Sie diese Routine doch ab heute: Geben Sie Ihrem Kind wieder das Gefühl, dass sie darauf vertrauen, ihm eigene Arbeiten selbst zu überlassen. „Ich freue mich schon, wie du das machst!“, oder „Ich verlasse mich voll auf dich!“

 

  • Denken Sie an die immense Kraft der Vorbildwirkung! Was immer an Routinearbeiten ansteht: Achten Sie auf Ihre eigene Einstellung dazu. Wenn Sie selbst stets verkünden, wie sehr sie es hassen, einen Besen anzugreifen, oder den Abwasch zu machen, wird Ihr Kind es wohl kaum mehr gern tun.

 

  • Setzen Sie Arbeiten und gemeinschaftliche Tätigkeiten niemals als Sanktion ein: „Zur Strafe kehrst du jetzt die ganze Wohnung auf!“ Derlei Drohungen werden leider auch heutzutage nicht allzu selten ausgesprochen.

 

  • Möchten Sie, dass Ihr Kind gern mithilft? Gut! Was spricht dann dagegen, auch die lästigsten Routine- Arbeiten öfters spielerisch einzuleiten: „Los geht’s! Wer von uns beiden als erstes mit dem Besen durch den ganzen Raum fegt!“ Und am Ziel angekommen, könnte das folgende mehr als motivierend für künftige Kehraktionen wirken: „Super! Du fegst ja viel schneller und gründlicher als ich!“
Bild: pixabay/Sarah Richter
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Über den Autor

Gerhard Spitzer, Sozialpädagoge, Familien-Coach und Erziehungsberater, Sachbuchautor und Privatdozent. Seit mehr als 30 Jahren erfolgreich in der außerschulischen Jugendarbeit als Betreuer und pädagogischer Leiter sowie als Erziehungsberater tätig, kennt und liebt Gerhard Spitzer die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aller „Schwierigkeitsgrade“. Erfolgreich und gerne besucht sind seine humorvollen Vorträge zum Thema „Entspannt erziehen“.

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