Reif für die Fremdenbetreuung

„Wenn deine Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln!“ Diese alte Lebensweisheit besitzt nach wie vor Gültigkeit, bestätigt Gerrit Strobl, Sozialpädagogin und dreifache Mutter aus Mödling: „Emotionale Sicherheit ist eine wichtige Komponente für die Weiterentwicklung des Kindes. Daher sollte ein Kind in den ersten drei Lebensjahren nicht mehr als drei betreuende Bezugspersonen haben.“ Ein heißes Thema, schließlich drängt es eine Vielzahl an Müttern weit vor dem dritten Geburtstag ihres Lieblings wieder in den Job zurück. Oftmals durchaus mit schlechtem Gewissen … „Unter welchen Voraussetzungen können Eltern ihr Kleinstkind mit gutem Gefühl in die Obhut einer Kleinstkindergruppe bzw. Kinderkrippe geben?“, fragten denn auch Dr. Brigitte Sindelar und Dr. Jutta Fiegl im Rahmen einer Studie der Sigmund Freud Universität Wien. Weniger als zehn Prozent der befragten 610 Erwachsenen sprachen sich grundsätzlich gegen eine Fremdbetreuung in dieser Altersklasse aus. Mutter, Vater oder Großeltern bleiben die erste Wahl, wenn es um die Betreuung von Babys und Kleinstkindern geht!

Familiäre Strukturen

Gerrit Strobl betreute neben ihrem Sohn zwei Jahre lang zwei andere Kleinstkinder. „Diese Anzahl stellt tatsächlich das Maximum dar, wenn man jedem Kind in seinen altersspezifischen Bedürfnissen gerecht werden möchte“, erzählt sie aus ihrer Erfahrung als Tagesmutter. „Drei Kinder entsprechen in jedem Fall einer familiären Struktur, die Kinder in diesem sehr jungen Alter für eine gesunde Entwicklung benötigen. Da bleibt genügend Zeit, sich mit jedem Kind zu beschäftigen, zu spielen, zu sprechen und auch einmal ein Bilderbuch vorzulesen.” Die meisten Eltern wünschen sich eine so intensive Betreuung auch. Manchmal überfordern Väter und Mütter ihre Kinder allerdings, mussten die Studienautorinnen Brigitte Sindelar und Jutta Fiegl feststellen: „Die Erwartungshaltung mancher Eltern an die Kinder ist unerfüllbar. Unsere Umfrage ergab, dass Eltern bei den Kindern eine seelische Stabilität voraussetzen, die diese im Alter von ein bis zwei Jahren noch nicht erworben haben können, etwa: eine leichte Trennung von Mutter und Vater, Spielbereitschaft mit Gleichaltrigen, wenig aggressives Verhalten, keine Eifersucht und die Fähigkeit, Enttäuschungen zu ertragen!“ Um fremden Personen Vertrauen entgegenbringen zu können, muss ein Kind zunächst Geborgenheit, Annahme und verlässliche Liebe erfahren haben.

Betreuungsschlüssel

Ihre Tätigkeit im Eltern-Kind-Zentrum Mödling hat Gerrit Strobl gelehrt, dass die beschriebene familiäre Betreuungsform in vielen Fällen nicht als Alternative zur Wahl steht. Für zahllose Mütter bietet sich die Kleinstkindergruppe als einzige Möglichkeit an. „Die sorgfältige Auswahl einer für das Kind geeigneten Gruppe ist in jedem Fall wichtig. Wer gut ausgesucht hat, erspart sich später eine Menge Ärger und Unzufriedenheit!“ Was aber ist „gut“ und „geeignet“? Das wesentliche Kriterium liegt für die Sozialpädagogin im Betreuungsschlüssel: Wie viele Kinder werden von wie vielen Pädagoginnen betreut? Die Zahlen sollten in Kinderkrippen so nah wie möglich beieinander liegen: Im Idealfall beträgt das Verhältnis 1:2 oder 1:3, in der Praxis ist bereits eine Betreuerin auf fünf Kinder als positiv zu werten.

Wichtige Kriterien

Aber nicht nur die Anzahl der betreuenden Personen ist wesentlich, sondern vor allem auch die Kontinuität! Einen Erzieherwechsel bewältigen Kinder dieses Alters meist nur schwer. Eltern wünschen außerdem eine gute Ausbildung des Personals, vor allem im Bereich der Entwicklungspsychologie. Dem Lebensalter der Kinder entsprechend sollten d i e Pädagoginnen fähig sein, den Kleinstkindern eine emotional verlässliche Zuwendung zu bieten. Außerdem besteht bei Eltern der Wunsch nach einem guten Gesprächsklima zur Krippenbetreuerin – ein Vertrauensverhältnis, das auch Frau Strobl als wichtige Voraussetzung empfindet. Sie kennt die Ängste vieler Eltern, die oftmals gepaart sind mit dem schlechten Gewissen, das Kind „in so jungen Jahren außer Haus zu geben“.

Das Beste draus machen

Auch wenn die Sozialpädagogin familiären Formen der Kleinstkinderbetreuung den Vorzug gibt, rät sie Eltern: „Wenn es die Situation erfordert, dass ein Kind in den ersten Lebensjahren außerhäuslich in einer Gruppe betreut wird, sollte man das Beste aus der Situation machen! Wichtig sind einfühlsame Eltern, die sich Zeit für die langsame Einführung des Kindes in die Gruppe nehmen!“ Gerade Letzteres kann bei jedem einzelnen Kind sehr stark differieren: Der eineinhalbjährige Paul benötigt einige Wochen, um sich von der Mutter zu lösen, die gleichaltrige Lisa ist schon nach wenigen Tagen begeisterte Kindergartenbesucherin.

Jedes Kind ist anders

Mütter mit mehreren Kindern können das nur bestätigen: Sogar innerhalb einer Familie gibt es kleine Welteroberer, die es gar nicht erwarten können, von den Eltern loszukommen, aber auch Träumer und Nesthocker. Die dreifache Mutter Gerrit Strobl ist überzeugt, dass Eltern, die den Charakter ihres Kindes bei der Wahl von Betreuungsart und vor allem auch Zeitpunkt berücksichtigen, keinen Fehler machen können. Viele Kinder schaffen den Kindergarteneinstieg mit zweieinhalb Jahren – wenn die Mutter wieder in den Beruf zurückkehrt – sehr gut. Andere wiederum sind in diesem Alter noch nicht reif dafür.

Alternative Initiative

Auch wenn die Familienpolitik sich momentan wieder einmal der Kinderbetreuungseinrichtungen annimmt: Genügend Krippenplätze zu schaffen kann nur eine – wenn auch wesentliche! – Voraussetzung sein, will man allen Eltern die ideale Betreuungsform für ihr Kind bieten. Gerrit Strobl empfiehlt in jedem Fall auch Alternativen ins Auge zu fassen. Besonders interessant findet sie neben den bereits erwähnten Möglichkeiten Mütterinitiativen: Einige – meist in Teilzeit arbeitende – Frauen betreuen abwechselnd die eigenen wie auch die Kinder der anderen Mütter. Diese Initiative ist nicht nur kostengünstig, sondern vor allem freundschaftsfördernd für Mutter und Kind. Österreichische Familienpolitiker haben den Vorteil dieser innovativen Betreuungsmöglichkeiten längst erkannt. Denn eines ist gewiss: Nur wenn Eltern sicher sind, dass zuhause alles klappt, können sie im Beruf alles geben! Die Vereinbarkeit von Elternschaft und Berufstätigkeit ist schließlich auch ein wichtiges Unternehmensinteresse. Daher gibt es seit einiger Zeit eine finanzielle Unterstützungsmöglichkeit für neue Formen der Kinderbetreuung, damit Elterninitiativen nicht am Finanziellen scheitern.

Qualitative Ausbildung

Frau Strobl hält es für wesentlich, die Kleinkindbetreuerinnen qualitativ und gesellschaftlich aufzuwerten – immerhin bedeuten sie die Zukunft unseres Landes. Solange Pädagoginnen jedoch als „Tanten“ abgewertet werden, die mit den Kindern ein bisschen spielen und ihnen zu essen geben, und sich das auch in der Bezahlung ausdrückt, verlassen immer mehr gut ausgebildete Kleinkindbetreuerinnen die Krippen und suchen sich Arbeitsplätze in alternativen Bereichen. Auch die Tätigkeit der Tagesmutter sollte nicht als vorübergehender Job, sondern als vollwertiger pädagogischer Beruf in der Gesellschaft anerkannt werden. Durch die Möglichkeit von Anstellungsverhältnis und Versicherung ist ein erster Schritt in diese Richtung erfolgt. Über verpflichtende Fortbildungskurse bekommen Tagesmütter das nötige pädagogische Knowhow, um Kleinstkinder nicht nur optimal betreuen, sondern sie auch gezielt fördern zu können. Ähnliche Förder- und Schulungsmaßnahmen für alternative Betreuungsformen sollten weiter ausgebaut werden, um altersgemäßer Kleinstkinderbetreuung gerecht zu werden!

 

Vertrauen geben

Ab dem vierten Lebensjahr schließlich fällt den meisten Kindern – ob bis dahin fremdbetreut oder im familiären Umfeld versorgt – der Einstieg in den Kindergarten leicht. Mit Problemen werden allerdings Kinder kämpfen, die durch häufig wechselnde Betreuungspersonen bzw. durch Verlusterfahrungen im Kleinstkindalter in den Grundfesten ihres Vertrauens erschüttert wurden. Dies kann aber da und dort passieren! Fremdbetreuung ist also in erster Linie keine gesellschaftspolitische, sondern eine Frage der persönlichen Beziehung und des Vertrauensverhältnisses zwischen Eltern und ihrem Kind.„Vertrauen ist Mut, Treue ist Kraft“ … Dieser Satz der großen Erzählerin Marie von Ebner-Eschenbach drückt aus, was Kinder brauchen, die in die kleine Welt der Krippe oder des Kindergartens ziehen wollen: „Mama und Papa haben mich lieb und holen mich später pünktlich wieder ab!“ Dieses Wissen lässt Kinder (fast) alles bewältigen …

ratzfratz

Betreuungsplätze Österreichweites Netzwerk für Kinderbetreuungsplätze
www.kinderbetreuung.at

Bundesdachverband Österreichischer Elterninitiativen
www.kindergruppen.at

Tagesmütter und Tagesväter
www.efk.at

Dipl.Ing. Roswitha Wurm

Fotos: ollyy/Shutterstock.com, Stanislav Fridkin/Shutterstock.com

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