So (un)gerecht ist Österreich wirklich

Österreich ist weit gerechter, als viele denken. In manchen Bereichen wie bei der Chancen- und Einkommensgerechtigkeit fällt die Alpenrepublik aber zurück.

Mai 2025: Glaubt man den Unzufriedene und so manchen Kommentatoren, so ist Österreich nicht unbedingt ein gerechtes Land. Eine Ansicht, die unter anderem auch von der politischen Auseinandersetzung in der Alpenrepublik gefördert wird. Die alltäglichen Schlammschachten und verbalen Attacken in der Politik-Arena verstellen mitunter den Blick auf die Fakten. In einer Gruppe von 34 untersuchten – großteils europäischen – Ländern, kann sich Österreich unter den Top 8 Nationen positionieren. Ganz oben in der Rangliste der gerechtesten Länder liegen einmal mehr die skandinavischen Staaten.

 

Worum es geht

Im Mai 2025 publizierte die in München beheimatete „Stiftung Familienunternehmen“ eine Studie mit dem Titel „Internationaler Gerechtigkeitsindex – Betrachtungen von sechs Dimensionen in 34 Ländern“. Erstellt wurde die Studie von Forschern des „IW Köln – Institut der deutschen Wirtschaft e. V.“. Anhand von objektiven Daten der OECD, der Weltbank und Eurostat wurde ein internationale Gerechtigkeitsindex erstellt, der auf 43 Merkmalen (Indikatoren) beruht. Mittels dieser Merkmale soll das tatsächliche Gerechtigkeitsniveau der verschiedenen Länder dargestellt werden.
Der Gerechtigkeitsindex wurde in sechs Bereiche untergliedert. Dabei handelt es sich um die Themenbereiche:

  • Bedarfsgerechtigkeit
  • Leistungsgerechtigkeit
  • Chancengerechtigkeit
  • Einkommensgerechtigkeit
  • Regelgerechtigkeit
  • und Generationengerechtigkeit

mehr zu den Unterpunkten, bzw. was darunter zu verstehen ist, finden Sie bei den einzelnen Rankings im Anschluss.

 

Gerechtigkeit im internationalen Vergleich: Skandinavische Länder deutlich vorne – Österreich knapp vor Deutschland

Österreich kann sich beim Gesamtergebnis im obersten Drittel der untersuchten Länder positionieren. Knapp vor unserem westlichen Nachbarland Deutschland, welches auf Platz 10 landet. Angeführt wird das Ranking von den skandinavischen Ländern, deren Gesellschaftsmodel laut den Studien-Autoren für einen starken Wohlfahrtsstaat, umfassende soziale Leistungen und eine hohe Umverteilung steht.

Internationaler Gerechtigkeitsindex – Gesamtergebnis

1 Norwegen 74,80
2 Schweden 73,50
3 Dänemark 72,80
4 Island 71,00
5 Finnland 70,90
6 Luxemburg 68,00
7 Neuseeland 66,40
8 Belgien 65,30
8 Österreich 65,30
10 Deutschland 64,20
11 Schweiz 63,90
12 Niederlande 63,30
13 Tschechien 62,70
14 Slowenien 61,70
15 Irland 61,50
16 Estland 60,60
17 Frankreich 59,90
18 Australien 59,50
19 Portugal 59,20
20 Kanada 58,10
21 Litauen 55,90
22 Lettland 55,80
23 Israel 55,50
24 Ungarn 54,70
25 Vereinigtes Königreich 54,20
26 Spanien 54,00
27 Slowakei 53,30
27 Polen 53,30
29 Japan 51,50
30 USA 49,60
31 Italien 48,90
32 Griechenland 42,70
33 Rumänien 38,70
34 Türkei 32,00
Anmerkung: Werte zwischen 0 (geringste Ausprägung) und 100 (beste Ausprägung); Daten am aktuellen Stand (2022).

 

Die weiteren Einzel-Ergebnisse zeigen, dass Österreich in manchen Bereichen sogar noch weiter vorne liegt. So etwa bei der Generationengerechtigkeit, wo es darum geht welche Ressourcen die jetzt agierende Generation ihren Kindern zur Verfügung stellt.

 

1. Bedarfsgerechtigkeit (Grundbedürfnisse) – Österreich Rang 7 – Deutschland 6

Worum es geht: Jeder soll das erhalten, was er zur Sicherung seines Bedarfs (Existenzminimums) benötigt. Bei der „Bedarfsgerechtigkeit“ geht es darum, dass die Grundbedürfnisse jedes Einzelnen abgedeckt werden. Dazu gehören unter anderem eine grundlegende medizinische Versorgung und ein existenzsicherndes Einkommen.

Geringe (Alters-) Armut in Tschechien aufgrund eines auf Umverteilung und Mindestbedarf ausgerichteten Rentensystems …

Auf den ersten drei Plätzen landen Finnland (79,10) vor Tschechien (76,90) und Norwegen (75,70). Österreich landet hinter Deutschland (Platz 6, 71,50) mit 70,90 Punkten auf Platz 7. Die Autoren der Studie halten zu den drei Erstplatzierten folgendes fest: „Finnland (Rang 1) und Norwegen (Rang 3) zeichnen sich als hoch entwickelte Wohlfahrtsstaaten aus, die eine breite Abdeckung durch Sozialleistungen gewährleisten und eine gute Grundsicherung durch beispielsweise hohe Leistungen im Bereich Gesundheit fördern. Der zweite Rang Tschechiens lässt sich vor allem auf geringe (Alters-)Armut zurückführen aufgrund eines auf Umverteilung und Mindestbedarf ausgerichteten Rentensystems, stabilen Erwerbsbiografien, geringer Arbeitslosigkeit und einer vorteilhaften demografischen Struktur. Außerdem erzielt Tschechien gute Ergebnisse bei der Sicherung des Bildungsniveaus (gemessen durch einen geringen Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung mit einem Ausbildungsniveau der unteren Sekundarstufe oder darunter (ISCED-Stufen 0 bis 2)).“

 

2. Leistungsgerechtigkeit – Österreich Rang 18 – Deutschland 19

Worum es geht: Jeder erhält, was ihm entsprechend seiner individuellen Leistung zusteht. Bei der Leistungsgerechtigkeit geht es darum, dass sich Anstrengung lohnt und Arbeit sich auszahlt. Im perfekten leistungsgerechten Zustand entsprechen die Einkommen der Bürger ihrer jeweiligen Leistung.

Es fällt auf, dass die sozial ausgerichteten Marktwirtschaften ( z.B. Deutschland, Belgien, Österreich, …) den kapitalistischen Staaten angelsächsischer Prägung (USA, Vereinigtes Königreich, Kanada, …) beim Thema Leistungsgerechtigkeit überlegen sind.

Auf den ersten drei Plätzen landen Neuseeland (84,0) vor Schweden (82,40) und Norwegen (81,5). Österreich landet vor  Deutschland (Platz 19, 60,00) mit 61,1 Punkten auf Platz 18, also in der unteren Hälfte des Rankings. Die USA, das Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“, welches in der allgemeinen Einschätzung gerne als leistungerechtes Land wahrgenommen werden landen auf Platz 23. Die Autoren der Studie halten  folgendes fest: „Neuseelands Spitzenreiterplatzierung in der Leistungsgerechtigkeit ergibt sich aus der Kombination aus produktivitätsorientierter Lohnentwicklung, einem sehr geringen Anteil an Niedrigverdienern und niedriger Arbeitslosigkeit unter qualifizierten Arbeitskräften, einer von der Bevölkerung als niedrig wahrgenommenen Korruption sowie einem im Vergleich zu anderen Ländern relativ gering ausgeprägten Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern. Beim Vergleich der verschiedenen Wirtschaftssysteme fällt auf, dass die sozial ausgerichteten Marktwirtschaften (Anm. d. Red: z.B. Deutschland, Belgien, Österreich, Niederlande, Schweiz) den kapitalistischen Staaten angelsächsischer Prägung (Anm. USA, Vereinigtes Königreich, Kanada, …) beim Thema Leistungsgerechtigkeit überlegen sind (Abbildung 7). Das ist bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass insbesondere die angelsächsischen Nationen die Verwirklichung von Leistungsgerechtigkeit als fundamental erachten. Marktwirtschaftliche Prinzipien und die Belohnung individueller Leistung haben in diesen Ländern traditionell einen hohen Stellenwert.“

 

3. Chancengerechtigkeit – Österreich Rang 15 – Deutschland 17

Worum es geht: Jeder hat zu Beginn die gleichen Ausgangsbedingungen für Teilhabe an Bildung, am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen Leben. Hinter dem Begriff verbirgt sich die Idealvorstellung, dass alle Menschen einer Gesellschaft die gleichen Startchancen auf Bildung, Beruf und gesellschaftliche Teilhabe haben und sich durch Anstrengung verbessern können.

Der Mangel an Facharbeitern ist nicht zuletzt auch einer ungerechten Chancenverteilung  geschuldet.

Auf den ersten drei Plätzen landen Island (86,0) vor Israel (78,7) und Neuseeland (76,4). Österreich landet vor  Deutschland (Platz 17, 64,1) ex aequo mit Litauen mit 64,3 Punkten auf Platz 15 also im Mittelfeld des Rankings. Die Autoren der Studie halten  zu Deutschland folgendes fest: Obwohl die Spannbreite der Indexwerte im Mittelfeld (Rang 12-23) relativ klein ist, ist der Abstand zwischen Deutschland (64,1 Punkte) und dem Spitzenreiter Island (86,0 Punkte) wiederum verhältnismäßig groß. Allerdings sind beide Länder angesichts ihrer vielfältigen Unterschiede auch kaum zu vergleichen. Nichtsdestotrotz liegt Deutschland hinter wichtigen Wettbewerbern auf den Weltmärkten wie den USA oder auch Kanada.“ 

Gleiches gilt wohl auch für Österreich. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der zu einem extremen Mangel an Fachkräften geführt hat,  ist die Aufmerksamkeit einer ungerechten Chancenverteilung  deutlich gestiegen. Vor allem auch deshalb,  weil viele Arbeitgeber keine geeigneten Mitarbeiter mehr finden.

 

4. Einkommensgerechtigkeit – Österreich Rang 23 – Deutschland 21

Worum es geht: Einkommen und Lasten sind gleichmäßig verteilt. Speziell in  Österreich und Deutschland ist die Entwicklung der Einkommensunterschiede regelmäßig Gegenstand
öffentlicher Debatten:

Progressiv gestaltete Steuersysteme und Transferleistungen wie Arbeitslosengeld, Renten und Kindergeld tragen in Deutschland dazu bei, Einkommensungleichheiten zu verringern.

Die gerechteste Einkommensverteilung hat das (gemessen am Pro-Kopf-Einkommen) reichste Land Luxemburg mit einem Wert von 84,7 Indexpunkten. Auch Belgien, Platz 2, und die Slowakei, Rang 3, schneiden mit 83,2 beziehungsweise 79,0 Punkten sehr gut ab. Österreich landet hinter  Deutschland (Platz 21, 60,7)  mit 59,1 Punkten auf Platz 23 also im hinteren Mittelfeld. In der Studie heißt es zu diesem Thema u.a. Mit 60,7 Indexpunkten und Rang 21 von 34 im Jahr 2022 hat sich Deutschland beim Thema Einkommensgerechtigkeit seit 2014 leicht verschlechtert und befindet sich konstant in der unteren Hälfte des Rankings. Die letzten Rangplätze belegen die Türkei, die USA und das Vereinigte Königreich.“ 

 

5. Regelgerechtigkeit – Österreich Rang 10 – Deutschland 14

Worum es geht: Gleiche Regeln und gleiches Recht für alle. Regelgerechtigkeit beruht auf dem Prinzip, dass die Rahmenbedingungen des Zusammenlebens für alle gleichermaßen gelten. Diese Dimension von Gerechtigkeit gilt als erfüllt, wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft u.a. vor dem Gesetz gleichbehandelt werden.

Wenn Bürger das Gefühl haben, dass die geltenden Regeln fair sind und gerecht angewandt werden, sind sie eher bereit, sich an diese Regeln zu halten und die Autorität der Institutionen zu akzeptieren.

Auf den ersten drei Plätzen landen die Schweiz (92,6) vor Luxemburg (90,7) und Dänemark (89,6. Österreich landet vor  Deutschland (Platz 14, 71,7)  mit 76,3 Punkten auf Platz 10 des Rankings. Die Autoren der Studie halten  zu Deutschland folgendes fest:. In der Studie heißt es zu diesem Thema u.a. Regelgerechtigkeit ist ein fundamentales Prinzip für die Aufrechterhaltung eines fairen sowie stabilen politischen und sozialen Systems. Die faire Gestaltung, transparente Kommunikation und konsistente Durchsetzung von Regeln sind entscheidend für das Vertrauen in Institutionen und die Förderung einer gerechten Gesellschaft..“ 

 

6. Generationengerechtigkeit – Österreich Rang 6 – Deutschland 9

Worum es geht: Jede Generation sorgt für eine ausgewogene Verteilung von Ressourcen, Rechten und Pflichten zwischen den verschiedenen Generationen. Im Mittelpunkt steht die Frag die Frage, ob die Entscheidungen und Verhaltensweisen heutiger Generationen gute Ausgangsbedingungen und Handlungsspielraum zukünftiger Generationen gewährleisten oder nicht. Eine Frage, die u.a. angesichts des Klimawandels und aktuell der Staatsverschuldung heiß diskutiert wird.

Es geht darum, eine gerechte Verteilung von Ressourcen, Möglichkeiten und Lasten zwischen den verschiedenen Generationen sicherzustellen.

Auf den ersten drei Plätzen landen Schweden (69,9) vor Norwegen (63,5) und der Schweiz (62,6). Österreich landet mit 60,4 Indexpunkten im Spitzenfeld, Deutschland platziert sich auf Rang 9 mit 57,1 Punkten. Italien(32.), Griechenland (33.) und Japan (34.) belegen die letzten drei Plätze des Rankings. Die Autoren der Studie halten  zu Deutschland folgendes fest: „Mit dem neunten Rang (57,1 Indexpunkte) im Jahr 2022 schneidet Deutschland beim Generationengerechtigkeitsranking im internationalen Vergleich für ein großes Industrieland gut ab. Nachhaltigkeit hat in Deutschland schon seit einigen Jahren mehr Priorität als in anderen Ländern und Wirtschaftswachstum und Klimaschutz sind in Deutschland deshalb nicht immer ein Gegensatz. Ganz im Gegenteil, im Vergleich zu Ländern wie den USA, der Schweiz, Spanien, Frankreich oder Italien hat Deutschland bedeutende Fortschritte in Bezug auf die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß gemacht.“ 

Die gute Platzierung Österreichs in punkto Generationengerechtigkeit – mit 60,4 Punkten nur hauchdünn hinter Finnland (60,6) und Island (60,8) – überrascht. Vor allem vor dem Hintergrund, dass in der politischen Diskussion immer wieder vom „Scherbenhaufen“, den wir unseren Kindern hinterlassen die Rede ist. Tatsächlich zeichnen die Fakten ein etwas anderes, deutlich besseres Bild.

„So sind wir nicht“, meinte der amtierende österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen im Mai 2019 in einem anderen Zusammenhang. Und er hat Recht – wir Österreicher:innen sind in vielen Bereichen tatsächlich besser als wir selbst glauben bzw. als uns manche Glauben machen. Das gilt im übrigen auch für unsere deutschen Nachbarn ;-).

 

Quelle für alle verwendeten Daten:

„Internationaler Gerechtigkeitsindex – Betrachtungen von sechs Dimensionen in 34 Ländern“; Hrsg. Stiftung Familienunternehmen; Studie des IW Köln – Institut der deutschen Wirtschaft e. V.; München 2025. Die komplette Studie kann hier abgerufen werden; https://www.familienunternehmen.de/de/publikationen/internationaler-gerechtigkeitsindex

Bild oben: Pixabay/Pexels

 

 

 

 

 

 

Related Stories
Werbung

Search Posts