Wenn Kinder Eltern werden …

Der Zugang zu Verhütungsmitteln hat sich in den letzen Jahrzehnten dramatisch vereinfacht. Und dennoch weist Österreich eine der höchsten Raten an ungewollten Schwangerschaften in Europa auf: 30.000 bis 40.000 Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr sprechen für sich. Alleine in der Gruppe der jungen Frauen zwischen 13 und 20 Jahren werden jedes Jahr knapp 3.000 ungeplant schwanger. „Für viele junge Menschen sind Kondome oder Pille immer noch einfach zu teuer, Verhütungsmittel sollten an Teenager gratis abgegeben werden. Außerdem herrscht bei den jungen Leuten hinsichtlich Sex und Verhütung teilweise grobe Unkenntnis. So hält sich noch immer hartnäckig das Gerücht, dass man beim ersten Mal nicht schwanger wird“, erklärt sich Ulrike Reim-Hofer, Hebamme und Leiterin der Sozialeinrichtung „YoungMum“, diese Zahlen. Sie betreut mit ihrem Fachexperten-Team schwangere Teenager vor und nach der Geburt. Außerdem leistet YoungMum sexualpädagogische Aufklärungsarbeit für Schulklassen.

Krankheiten und Schwangerschaft: kaum ein Thema

Im Rahmen von Exkursionen ins Wiener Krankenhaus Göttlicher Heiland bekommen SchülerInnen die Möglichkeit, anonym Fragen auf einen Zettel zu schreiben, die dann eine Gruppe von Experten aus dem YoungMum-Team beantwortet. Immer wieder wundert sich Dr. Harald Lass, Oberarzt und Gynäkologe, über die Fragen: „Einerseits interessieren sich die Teens intensiv für verschiedenste Sexualpraktiken, die sie wahrscheinlich hauptsächlich aus Filmen, Internet oder Chats kennen, andererseits sind sich viele weder der Ansteckungsgefahr mit Geschlechtskrankheiten bewusst, noch wissen sie über Verhütung bzw. Empfängnis Bescheid. Diese Unkenntnis führt bei vielen Mädchen so weit, dass sie nicht wissen, dass eigentlich der Frauenarzt für diese Belange zuständig ist.“

Sex mit 14

Dass das Alter für den ersten sexuellen Kontakt konstant sinkt, die Reife im Umgang mit Sexualität aber nicht parallel dazu ansteigt, ist für Dr. Lass der Hauptgrund für die Unwissenheit der Jugendlichen. Mädchen machen mit durchschnittlich 14 Jahren ihre ersten Erfahrungen mit der körperlichen Liebe, Jungs mit XXX Jahren. Meist sind sie dabei so mit sich selbst und den eigenen Unsicherheiten beschäftigt, dass der Gedanke an eine mögliche Schwangerschaft auf der Strecke bleibt. Dazu kommt, dass viele junge Frauen noch über einen sehr unregelmäßigen Zyklus verfügen und erst in der 14. Schwangerschaftswoche oder später „die anderen Umständen“ bemerken. Wenn sie dann draufkommen, verheimlicht – so die Erfahrungen von YoungMum – ungefähr ein Sechstel aller Mädchen aus Angst vor den Reaktionen der Umwelt eine mögliche Schwangerschaft … so lange es zumindest geht.

Jung, aber mutig!

Trotz der hohen Belastungen stehen die meisten jungen Frauen zu ihren Kindern: Haben sie sich einmal dazu entschlossen, ihr Baby zu bekommen, nutzen nur rund zwei Prozent der Teenagermütter die Möglichkeiten von Adoption oder Babyklappe. Anders gesagt: 98 von 100 jungen Müttern erziehen ihre Kinder selbst.
YoungMum unterstützt diese Mädchen bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe: sowohl physisch als auch psychisch. Das Team rund um Hebamme Reim-Hofer –Gynäkologen, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter – hilft bei Problemen mit der Schulleitung, mit den Eltern oder dem Partner. In der Schwangeren- oder Mutter-Kind-Gruppe finden die jungen Frauen andere in ähnlicher Situation zum Erfahrungsaustausch. Außerdem können sie sich jederzeit an die Betreuerinnen wenden. Wenn der anwesenden Therapeutin auffällt, dass ein Mädchen oder auch ihr Partner offensichtlich Probleme mit der Situation oder mit der Versorgung des Babys hat, sprechen sie das in einem Einzelgespräch offen an. Laut Reim-Hofer sind die meisten Jugendlichen sehr froh, wenn sie ihre Sorgen überhaupt einmal artikulieren können.

Die größten Probleme: Geld und Ausbildung

Zentrales Problem für die meisten Teenager-Eltern ist die angespannte finanzielle Situation und damit zusammenhängend die eigene Ausbildung. Kindergeld und Kinderbeihilfe reichen nicht für eine eigene Wohnung, und so leben die meisten jungen Frauen weiterhin bei den eigenen Eltern – deren Einverständnis vorausgesetzt, was natürlich auch keine Selbstverständlichkeit ist. Ist der Kindesvater noch minderjährig, müssen dessen Eltern für die Alimente aufkommen.
Während Lehrlinge in Babypause gehen und ihre Ausbildung anschließend beenden können, ist die Situation für Schülerinnen weit schwieriger. Hier eine praktikable Lösung zu finden, ist eine logistische Meisterleistung aller Beteiligten. Manchmal passen die Großmütter auf das Kind auf, während die junge Frau zur Schule geht. Das funktioniert aber nur, wenn Oma nicht berufstätig ist – bei Frauen um die 40 selten der Fall! Frau Reim-Hofer hat aber auch schon erlebt, wie sich eine ganze Schulklasse rührend um das Baby einer Mitschülerin kümmert. In einem Fall hat eine Klasse die Versorgung des Kindes zum Thema einer Projektarbeit gewählt … Sozialunterricht hautnah sozusagen! Eine originelle Lösung praktiziert ein anderes Teenager-Elternpaar: Da beide die gleiche Klasse besuchen, wechseln sie sich tageweise beim Unterricht ab. Der eine geht in die Schule, der andere versorgt das Baby. Und am nächsten Tag ist’s umgekehrt. Beide liegen gut in der Zeit und werden die Schule erfolgreich abschließen.

Young Daddy

Dass sich der Kindesvater aktiv an der Versorgung des Babys beteiligt: Dieses Glück haben allerdings nur wenige junge Mütter. Die meisten Jung-Papas ziehen sich schon in der Schwangerschaft zurück und wollen von Vaterfreuden und Vaterpflichten nichts wissen. Häufig aber springen hier die Eltern des Vaters in die Bresche und kümmern sich um den Nachwuchs. Dadurch bleibt der Kindesvater mit seinem Sprössling in Kontakt und kann langsam und ohne Druck eine Vater-Kind-Beziehung aufbauen.

Wer bekommt das Sorgerecht?

Sind beide Eltern noch minderjährig, übernimmt grundsätzlich das Jugendamt das Sorgerecht für das Kind. In den meisten Fällen stellt allerdings die Großmutter einen Antrag auf das Sorgerecht und bekommt dieses auch zugesprochen. Ist die Mutter des Kindes dann volljährig, kann sie das Sorgerecht selbst beantragen. In Wien bietet die MAG 11 und in den Bundesländern die jeweilige Bezirkshauptmannschaft eigene Beratungsstellen an.

Schwangerschaft als Flucht?

Mit einem Vorurteil möchte die Leiterin von YoungMum, Hebamme Reim-Hofer, jedenfalls aufräumen: „Eine frühe Schwangerschaft ist keine Frage der sozialen Herkunft. Die Mädchen, die wir hier begleiten, kommen aus allen Schichten.“ Nur rund ein Drittel der jungen Mädchen versucht durch eine Schwangerschaft seiner Situation – einem schwierigen Elternhaus oder zu viel Druck in der Schule – zu entfliehen. Dem Rest ist der Kindersegen einfach „passiert“. Zustände wie in Amerika, dass sich junge Mädchen verabreden, gleichzeitig schwanger zu werden, gibt es hierzulande (noch) nicht.

Junge Löwenmütter

Aus ihrer langjährigen Erfahrung weiß Ulrike Reim-Hofer auch, dass die jungen Frauen meist richtige Löwenmütter sind: Sie würden alles für ihren Nachwuchs tun. Nur sehr selten müsse wegen Vernachlässigung interveniert werden.Ganz im Gegenteil: Die Babys der Teenager sind meist bestens gepflegt und versorgt – und wenn sie älter sind, oftmals außergewöhnlich selbstständig.

Der erhobene Zeigefinger von reiferen Geschlechtsgenossinen ist also völlig unangebracht … umso mehr, als sich die ungeplanten Schwangerschaften jenseits der Vierzig auch mehren. Diese Frauen bemerken ihre anderen Umstände ebenfalls spät – weil sie sie für den Beginn der Wechseljahre halten.

Larissa H.: „Ich habe mehr von meinem Kind!“

Lokalaugenschein in Alt-Erlaa bei YoungMum Larissa. Die hübsche Maisonette-Wohnung ist perfekt aufgeräumt – ganz anders, als man es in einem Haushalt mit einem drei Wochen alten Säugling erwarten würde. Larissa selbst – blond, hübsch und schon wieder ganz schlank – sieht überhaupt nicht wie eine gestresste Jungmutter aus. Im Gegenteil: Der Umgang mit Sohn Nikos ist zärtlich, gelassen und routiniert.
Als Larissa feststellt, dass sie schwanger ist, zählt sie zarte 14. „Eigentlich hatte ich die Pille schon zu Hause, aber ich musste auf die nächste Regel warten, um mit der Einnahme beginnen zu können“. Dazu kommt es nicht: Der Schwangerschafts-Test ist positiv, die Ambulanz am Wiener AKH bestätigt den Verdacht. „Zuerst habe ich es meiner Tante und meiner Oma erzählt.“ Die Großmutter macht dann auch einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch aus. Eine Ultraschalluntersuchung bestärkt Larissa aber in ihrer Überzeugung: „Ich kann das einfach nicht!“. Schließlich weiht sie auch ihre Mutter ein, die nach anfänglicher Bestürzung doch positiv reagiert – ganz anders als Larissas 15-jähriger Freund, der entsetzt ist von ihrem Plan, das Kind zu bekommen. Nach dreiwöchiger Beziehungspause kehrt er allerdings zu Larissa zurück mit dem Versprechen, sie zu unterstüzen. Seitdem sehen sie sich jeden zweiten Tag.

Die Schwangerschaft verläuft unproblematisch, allerdings leidet sie sehr unter der Gewichtszunahme und meidet den Kontakt zu ihren schlanken Freundinnen. Als das Baby kommt, hat Larissa ihre Schulpflicht absolviert. Die Geburt selbst verläuft normal, die Nachgeburt muss leider operativ entfernt werden. Obwohl ihre Eltern geschieden sind und kaum Kontakt zueinander haben, sind beide bei der Geburt ihres Enkels anwesend. Seither kümmert sich auch Larissas Vater wieder vermehrt um sie. Larissa lebt in der Wohnung ihrer Mutter und bleibt nun zweieinhalb Jahre in Karenz. In dieser Zeit will sie nur für Nikos da sein. Bis zu ihrer Volljährigkeit hat Larissas 35-jährige Mutter das Sorgerecht für den Kleinen. „Zweimal pro Monat kann ich fortgehen, ins Kino, auf Partys oder bei meinem Freund übernachten, und meine Mutter versorgt in der Zwischenzeit Nikos. Später wird sicher auch die Mutter meines Freundes auf ihn aufpassen.“ Später, wenn Nikos den Kindergarten besucht, will sie auch eine Lehre als Bürokauffrau absolvieren und mit ihrem Freund zusammenziehen. „Wenn wir dann noch zusammen sind!“ Bis dahin wird sie sich auch an die Reaktionen der Passanten auf der Straße gewöhnt haben – die von ungläubig bis mitleidig oder aggressiv reichen. „Dabei“, sagt Larissa „habe ich mehr von meinem Kind. Schließlich werden wir beide gemeinsam jung sein.“

FAQ zu Sex und Schwangerschaft

Was Teenager am häufigsten fragen
• Kann man bei Petting schwanger werden?
• Wie ist das Gefühl beim Orgasmus?
• Wie groß kann der Penis werden?
• Kann man durch Anal-Sex schwanger werden?
• Wie merkt man, dass man Aids hat?
• Nützt es, wenn man zwei Kondome überzieht?
• Was macht man, wenn man die Pille nimmt und trotzdem schwanger wird? Geht das überhaupt?
• Kann man sich durch französischen Verkehr eine Krankheit zuziehen ?
• Wie geht das bei einer Wassergeburt? Warum ertrinkt das Kind da nicht?
• Wie groß und wie schwer ist das Baby bei der Geburt?

Beratung und Hilfe

YoungMum – Begleitung für schwangere Teenager
Haus Lena, angeschlossen an das Krankenhaus Göttlicher Heiland
1170 Wien, Dornbacher Straße 30
Tel. 01 40088-440001 40088-4400
E-Mail: hauslena@khgh.at oder ym@khgh.at

FEM Frauengesundheitszentrum
in der Semmelweis Frauenklinik
1180 Wien, Bastiengasse 36–38
Tel. 47615-5771
www.fem.at

 

Text: Eva Sorantin
Foto: Maria Sbytova/Shutterstock.com

(aus Fratz&Co Print)