Blinde Flecken im österreichischen Familienrecht

Mit der Blindheit ist es so eine Sache. Von Staaten mit tragischen Schicksalen einmal abgesehen, die infolge von Bürgerkriegen etc. fern jeglichen Verfassungen oder Rechtssystemen stehen, dürfte es auch in stabilen Staaten so etwas wie freiwillige Rechts-Blindheit geben … oder zumindest Kurzsichtigkeit gepaart mit (Alters?-) Starrsinn.  Die Rede ist vom österreichischen Familienrecht, das sich in seiner Moralität noch stark am Familienideal des 19. Jahrhunderts orientiert: Die heterosexuelle eheliche Verbindung, die zur Kleinfamilie ausgebaut wird, steht im Mittelpunkt.

Schwierig wird es, wenn man/frau nicht diesem Ideal entspricht oder einen anderen Lebensentwurf wählt. Besonders pikant erweist sich das Thema nicht-eheliche Lebensgemeinschaft.
Elena, 30, lebt seit drei Jahren unverheiratet mit Jonas zusammen: „Solange ich als Lebensgefährtin finanziell unabhängig bin und keine persönlichen Katastrophen eintreten, ist diese Lebensform okay. Das täuscht dann über die Tatsache hinweg, dass ich mich eigentlich in einem gesetzlich luftleeren Raum befinde.“

Lebensgemeinschaft: in der Regel ungeregelt

Das bestätigt die mit dem Wiener Frauenpreis 2004 ausgezeichnete Rechtsanwältin Dr. Helene Klaar: „Die Realität der Lebensgemeinschaft, eine in unseren Breiten immer häufiger vorkommende Lebensform, ist vom Gesetz her nahezu nicht geregelt, und wenn, dann zum Nachteil der LebensgefährtInnen (LG).“ Die gesetzliche Sanktionierung von Lebensgemeinschaften erstreckt sich glücklicherweise nicht mehr auf uneheliche Kinder: Sie haben dieselben Unterhaltsansprüche und sind gleichermaßen erbberechtigt wie eheliche Kinder.

Nachteile für LG gegenüber Eheleuten finden sich jedoch mannigfach: Wenn LG um Notstandshilfe ansuchen, wird in der Berechnung das Einkommen der LG berücksichtigt. Das ist insofern problematisch, als LG von Gesetzes wegen keinen Anspruch auf Unterhalt haben, selbst wenn sie für die gemeinsame Firma arbeiten, Kinder erziehen oder die Eltern pflegen. Sie erwerben auch keinen Anspruch auf Pension oder Hinterbliebenen- Pension.

Weiters benachteiligt sind sie im Erbrecht, wo sie in die höchste Steuerklasse fallen, oder bei der Vermögensaufteilung nach einer Trennung. Da wegen der Einkommensschere zwischen Mann und Frau Letztere in den meisten Fällen die sozial schwächere Position einnehmen, gehen viele Situationen zu ihren Ungunsten aus.

Verträge – ja oder nein

Da LG quasi völlig rechtlos sind, empfiehlt Frau Dr. Klaar Paaren bestimmte Vereinbarungen – wie temporäre Unterhaltszahlungen z. B. in Kinderbetreuungszeiten oder Vermögensaufteilung – vertraglich festzulegen. Sie bieten Schutz für den finanziell und sozial schwächeren Part. So kann man beispielsweise dem/r Partner/in das Wohnrecht im Todesfall des Wohnungseigentümers sichern, wobei es natürlich immer die gesetzlichen ErbInnen zu berücksichtigen gilt.

Von Eheverträgen rät die Rechtsanwältin hingegen ab: In ihrer langjährigen Erfahrung habe sie noch keinen Ehevertrag gesehen, bei dem nicht der finanziell Schwächere – ergo meistens die Frau – über den Tisch gezogen werde. Im Eherecht sei ohnehin das meiste geregelt; der Großteil der Eheverträge, für die es eines kostenpflichtigen Notariatsaktes bedürfe, seien somit entweder nichtssagend oder würden eben einen Ehepartner dazu bringen, einen Teil seiner Rechte aufzugeben.

Goldene Zeiten?

Es gibt sie aber doch, einige wenige positive Regelungen für LG. Ironischerweise stammen diese aber nicht etwa aus der letzten Legislaturperiode, sondern aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Dies dürfte damit zu tun haben, dass in gesellschaftlichen Extremsituationen mehr nach den reellen Erfordernissen gehandelt und weniger die „Moralkeule” geschwungen wird. So ist zum Beispiel die Mitversicherung von LG in der Krankenkasse möglich – seit kurzem jedoch nur noch unter der Voraussetzung von im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindern oder Pflegebedürftigkeit. Ein klarer Fall von Diskriminierung homosexueller Paare.

Was das österreichische Familienrecht betrifft, leiden Homosexuelle am stärksten unter der katholischen Fehlsichtigkeit: Die Definition von Lebensgemeinschaft schließt nur heterosexuelle Paare mitein. Eine positive aktuelle Entwicklung im Wohnungseigentumsgesetz ist nun aber auch für homosexuelle Paare anwendbar: Seit 2002 können alle natürlichen Personen (LG, Geschwister, Mutter und Tochter etc.) gemeinsam Wohnungseigentum erwerben.

Eine ebenfalls aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg stammende zweite positive Regelung für LG bezieht sich auf das Mietrecht. Doch auch hier folgt die Einschränkung auf dem Fuß: Nur wenn sich der/die LG für immer vom Leben – und nicht nur vom Partner/der Partnerin – verabschiedet, haben ehemalige LG das Wohnungseintrittsrecht. Anders als bei einer Scheidung, nach der die/der Ex die Mietwohnung übernehmen kann, sind LG im Falle einer Trennung nicht berechtigt, in den Mietvertrag einzutreten.

Gemeinsame Obsorge

Die finanziellen Aspekte des Wohnens sind Thema Nummer eins im Trennungsfall, weiß Frau Schneider von der Frauenberatung Zwettl. Im ländlichen Raum belasten oftmals Schulden aufgrund von Hausbau ehemalige Paare. Auf Platz zwei unter den größten Sorgen rangieren Fragen der Obsorge und Besuchsregelungen. Die seit 2001 geltende Praxis der gemeinsamen Obsorge stellt ein Problemfeld, wenn nicht gar einen Rückschritt dar.

Als frauenfreundlich habe sie sich bis dato nicht erwiesen, so die Expertinnen Schneider und Dr. Klaar. Die Tatsache, dass das Gesetz prinzipiell von einer gemeinsamen Obsorge nach der Scheidung ausgehe, mache Frauen erpressbar, meint Frau Schneider von der Frauenberatung. Vielfach würden Männer nur dann auf die gemeinsame Obsorge verzichten, wenn die Frau finanzielle Abstriche bei ihren Ansprüchen in Kauf nehme. Denn das alleinige Sorgerecht zu „erkämpfen“, sei ein kompliziertes Prozedere, bei dem die Frau beweisen müsse, dass das Kindeswohl beeinträchtigt sei.

Dafür sei im äußersten Fall ein psychologisches Gutachten notwendig – ein für alle Beteiligten unangenehmes und kostspieliges Verfahren. Das Wohl der Frau berücksichtige diese Regelung keineswegs: So sei beispielsweise die Tatsache, dass eine Frau geschlagen werde, kein zwangsläufiger Grund für alleiniges Sorgerecht, so Schneider. In der Frauenberatung weiß man auch von Fällen väterlichen Alkoholismus, der aber für die Frau schwer zu beweisen war.

Zurück in die Zukunft?

Ist die gemeinsame Obsorge eine alles in allem unglückliche Regelung? Ja, stellt Rechtsanwältin Klaar eindeutig klar. „Im Diskurs um die Obsorge ist noch immer das Kindeswohl vom Wohl der Mutter abgekoppelt, die ja doch meist die Haupterziehungs- und Pflegearbeit übernimmt.“ Für Frau Dr. Klaar ist die gemeinsame Obsorgeregelung ein Rückschritt: „Vor 1978 lag die Pflege und Erziehung der Kinder nach der Scheidung bei der Mutter, die gesetzliche Vertretung und Vermögensverwaltung beim Vater.

Mit 1978 änderte sich dies: Derjenige, der die Kinder erzog, hatte auch alle Rechte. Jetzt hingegen, mit dem Schritt zur gemeinsamen Obsorge, liegen in den meisten Fällen 100 Prozent der Arbeit, aber nur mehr 50 Prozent der Rechte bei den Müttern.“

Besuchspflicht, wie bitte?

„Interessant“ an der Regelung der gemeinsamen Obsorge ist auch, dass es zwar Besuchsrechte, aber keine Besuchspflichten gibt. Das Gesetz sieht keine Möglichkeit vor, die bei gemeinsamer Obsorge rechtlich ohnehin nicht vorgeschriebene Besuchsregelung einzufordern. Warum keine Besuchspflicht? Warum keine Betreuungspflichten bei gemeinsamer Obsorge? Warum Väter nicht per Gesetz an ihre Verantwortung der Familie gegenüber erinnern?

Ein Kontakt zwischen Vätern und Kindern könne nicht erzwungen werden, kennen Frauenberatungsstellen die offizielle Argumentation. Auch sei eine gewisse Erziehungskontinuität wichtig. Das Kindeswohl steht hier angeblich im Vordergrund. So weit, so gut. Doch warum schweigt die Debatte standhaft zum Thema „Wohl der Mutter“? Aus ihrer Berufserfahrung weiß Frau Dr. Klaar, dass sich Frauen in der Regel mehr Aktivität vonseiten der Väter wünschen würden.

Reale Auswirkungen dieser Thematik können viele Frauen jeden Sommer neun Wochen lang hautnah erleben: Wohin mit den Kids in den Sommerferien? Viele Frauen stehen mit dieser Frage alleine da – wenn sie nicht auf die Mithilfe von Großeltern bauen können. So auch Renate, 32, aus Traisen: „Ich habe zwei Kinder, eines im Kindergarten- und das andere im Volksschulalter. Während ich einen Großteil meines Jahresurlaubes (mindestens drei Wochen) dafür verwende, meinen Kindern einen schönen Sommer zu ermöglichen, widmet mein Ex-Mann genau eine seiner insgesamt sechs jährlichen Urlaubswochen den Kindern. In den Sommerferien übernehmen die Großeltern einen Großteil der Betreuung.“

Aktive Väter

Nein, Väter, die sich aktiv um ihre Kinder kümmern möchten, kommen in den meisten Fällen nicht zu kurz. Ja, es gibt Fälle, in denen Mütter mit ihren Kindern wegziehen und Vätern dadurch das Besuchsrecht erschwert wird. Doch das prinzipielle Besuchsrecht muss ihnen, sofern sie die Vaterschaft anerkannt haben, gewährt werden. Hier gibt es – im Gegensatz zur fehlenden Besuchspflicht – eine gesetzliche Regelung, die eine Besuchsverweigerung finanziell sanktioniert!

Aktive Väter, in deren Haushalt die Kinder fast zu gleichen Teilen wie bei der Mutter leben, können eine Herabsetzung des Unterhalts für die Kinder beantragen. Zur Ehrenrettung der zahlreichen verantwortungsbewussten Väter sei gesagt, dass in Frauenberatungsoder Rechtsanwaltskanzleien Problemfälle besprochen werden. Vätern, die gerne ihre Verantwortung wahrnehmen und kooperative Erziehungspartner sind, wird mit diesen Beispielen natürlich nicht Genüge getan. Die vielen Fälle aus diesen Beratungseinrichtungen zeigen jedoch, dass sich das Idealbild der gemeinsamen Obsorge in der Realität oft nicht so umsetzen lässt, wie es das Gesetz gerne sähe.

Maga. Doris Urbanek

Buchtipps:

Scheidungs-Ratgeber für Frauen
Von Helene Klaar
Linde Verlag
ISBN 3-7093-0000-2

Scheidung kompakt
Von Astrid Deixler-Hübner
und Ursula Xell-Skreiner
Lexis Nexis ARD Orac Verlag
ISBN 3-7007-3441-7

Die nichteheliche Lebensgemeinschaft
Von Edith Möschl
Lexis Nexis ARD Orac Verlag
ISBN 3-7007-3594-4

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