Diese Geschichte beginnt mit einem Paukenschlag. Vor genau zehn Jahren kippt der Verfassungsgerichtshof die Steuerreform der rotschwarzen Regierung. Die Reform wird als verfassungswidrig beurteilt, da sie Familien mit Kindern benachteiligt. Plötzlich steht die Familienpolitik im Zentrum des Kabinetts von Kanzler Viktor Klima, der sein Amt gerade erst von Franz Vranitzky übernommen hat. Eine familienorientierte Steuerreform wird zur Priorität, ein Jahr darauf ist sie bereits beschlossene Sache. Es folgen in den Jahren darauf je zwei Erhöhungen der Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbeträge.
Die Kindergartenmilliarde
1997 wird aber auch ein Begriff geprägt, der bis heute immer wieder in familienpolitischen Debatten zitiert wird: die Kindergartenmilliarde. Die Milliarde ist noch in Schilling gerechnet, dennoch hat die Infrastrukturmaßnahme große Wirkung. Der Bund fördert Investitionen in Kinderbetreuungsplätze von Bundesländern und Betrieben mit 50 Prozent Kostenzuschuss.
Dadurch können innerhalb von vier Jahren mehr als 32.000 neue Betreuungsplätze geschaffen werden, das entspricht einem Zuwachs von gut zwölf Prozent. Die Kindergartenmilliarde bleibt eine zeitlich beschränkte Maßnahme und wird im Jahr 2000 nicht fortgesetzt. Mittlerweile hat Österreich ja eine politische Wende hinter sich, eine schwarz-blaue Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel und das Nulldefizit vor Augen. Seither wird in regelmäßigen Abständen eine neue Kindergartenmilliarde gefordert. Bisher vergeblich.
Flexible Karenz
Das Dauerthema des familienpolitischen Jahrzehnts ist jedoch die Karenz. Bereits 1999, Martin Bartenstein ist noch Familienminister, einigt sich die rot-schwarze Regierung auf die Umsetzung des „kleinen Familienpakets“. Das Herzstück dieser Reform ist das so genannte Karenzzeitkonto. Die Idee ist, dass Mütter und Väter künftig nicht mehr die volle Karenzzeit am Stück nehmen müssen. Stattdessen kann die Karenz jeweils in dreimonatige Abschnitte bis zum siebenten Lebensjahr aufgeteilt werden. Doch inzwischen hat ein gewisser Jörg Haider in Kärnten mit dem Schlachtruf „Kindergeld für alle“ ein gänzlich anderes Karenzmodell lanciert. Und Jörg Haiders FPÖ, wenn auch nicht er persönlich, sitzt als Juniorpartner in der Regierung.
Sparen für die Null
Zunächst folgen jedoch weitere Sparmaßnahmen zugunsten des Nulldefizits. Im Jahr 2000 wird die Kleinkindbeihilfe gestrichen, ein Jahr darauf die Geburtenbeihilfe. Die neu eingeführten Studiengebühren und Ambulanzgebühren fallen besonders bei Familien mit mehreren und älteren Kindern ins Gewicht. Eine gute Nachricht gibt es im Jahr 2001 allerdings für geschiedene Eltern: Ein neues Gesetz ermöglicht es diesen, auch nach der Scheidung gemeinsam die Obsorge für minderjährige Kinder zu behalten.
Neu: Kindergeld
Im Jahr 2002 ist dann die Zeit reif für den Systemwechsel. „Kindergeld für alle“ gilt jetzt im gesamten Bundesgebiet. Mit der Einführung des Kinderbetreuungsgeldes gibt es in Österreich keine Versicherungsleistung für erwerbstätige Mütter (seltener: Väter) mehr. An deren Stelle tritt eine Familienleistung, auf die jede Mutter (gelegentlich auch: Vater) Anspruch hat, unabhängig davon, ob sie (er) vor der Geburt des Kindes erwerbstätig war. 14,53 Euro täglich beträgt das Kinderbetreuungsgeld, also rund 436 Euro im Monat, zweieinhalb Jahre lang. Für viele der Hinkefuß des neuen Systems ist ein Überbleibsel aus dem alten: die Zuverdienstgrenze. Maximal 14.600 Euro pro Jahr kann man als Kindergeldbezieherin verdienen. Liegt eine Mutter oder ein Vater nur einen Euro über dieser Grenze, wird das gesamte ausbezahlte Kindergeld des Kalenderjahres zurückgefordert.
NAP Kinderrechte
Ein symbolisch wichtiger Schritt erfolgt im November 2004 im Ministerrat: Man verabschiedet den „Nationalen Aktionsplan für die Rechte von Kindern und Jugendlichen“ (NAP). Ausgehend von der UNO-Kinderrechte- Konvention soll dieses Maßnahmenprogramm Österreich kinder- und jugendfreundlicher machen. Kernpunkte sind der Schutz vor Gewalt, Selbst- und Mitbestimmung und geschützte Räume für Kinder und Jugendliche. Die Bilanz der seit diesem Zeitpunkt umgesetzten Maßnahmen bleibt jedoch sehr mager.
PISA und UNICEF
Bildungspolitisch bekommt Österreich Ende 2004 einen Schuss vor den Bug. Die Resultate der PISA-Bildungsstudie aus dem Jahr 2003 werden veröffentlicht. Demnach können unsere Mittelschüler schlechter lesen und rechnen als noch im Jahr 2000. Von insgesamt 29 teilnehmenden Staaten rangiert Österreich in Mathe auf Platz 15, im Lesen auf Platz 19 und in den Naturwissenschaften auf Platz 20.
Eine traurige Bilanz, für die die Regierung reflexartig das mangelhafte Deutsch der Migrantenkinder verantwortlich macht. Die Projektleiter der PISA-Studie sehen das etwas anders, die von ihnen vorgeschlagenen Schulreformen kommen jedoch bis heute nicht in Gang. Eine weitere Studie stellt im Februar 2007 die Frage, wie gut es sich in Österreich als Kind lebt. Laut UNICEF gehört unser Land zu den Schlusslichtern, was die Lebensqualität von Minderjährigen betrifft: Platz 18 von 21 analysierten Ländern. Im Bereich Gesundheit belegt Österreich sogar den vorletzten Platz, denn vom zu niedrigen Durchschnittsgewicht der Neugeborenen bis zur Anzahl rauchender Jugendlicher sind schwere Defizite festzustellen.
Wie zum Beweis zeigt sich im Juni 2007, welchen Wert Kinder in unserer Gesellschaft haben: In Wien-Favoriten wird ein kleiner Junge mit einem Luftgewehr angeschossen, weil er angeblich zu laut im Hof gespielt hat. Es stellt sich heraus, dass der Schütze bereits zum dritten Mal abgedrückt hat. Bei den ersten beiden Fällen wurde gar nicht erst Anzeige erstattet.
Kindergeld neu
Politisch bleibt jedoch das Kindergeld das große Streitthema der alten wie der neuen Koalition, insbesondere die Zuverdienstgrenze. Sozialminister Herbert Haupt weist im Jahr 2004 die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse an, auch bei Überschreitung der Zuverdienstgrenze kein Kindergeld zurückzufordern. Seine Nachfolgerin Ursula Haubner verkündet standhaft das baldige Ende der Zuverdienstgrenze, allerdings ohne Folgen, da sich die ÖVP-Regierungsmitglieder quer legen. Dasselbe Bild bietet sich auch in der Regierung Gusenbauer.
Die SPÖ macht für eine Abschaffung der Zuverdienstgrenze mobil, die neue Familienministerin Kdolsky diskutiert maximal über eine Erhöhung der Grenze auf 16.200 Euro. Dafür dürfte sich das SPÖ-Modell eines flexibleren Kindergeldes durchsetzen. Ab 2008 soll es möglich sein, das Kinderbetreuungsgeld nur für 15 Monate, dafür einen höheren Betrag von rund 800 Euro monatlich zu beziehen. Das könnte ein Weg sein, das „Müttergehalt“ für Väter interessanter und die Karenz auch für jene Eltern attraktiv zu machen, die einen rascheren Wiedereinstieg wollen oder brauchen.
Das Kindergartenjahr
Noch heftiger wird um das verpflichtende Vorschuljahr gestritten. Die SPÖ hätte gerne ein obligatorisches und kostenloses Kindergartenjahr für alle gehabt, wie es zum Beispiel in der Schweiz schon seit Jahrzehnten existiert. „Nicht finanzierbar“ lautet die Antwort von Bildungsministerin Claudia Schmied. Jetzt liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, der die politischen Wellen hochgehen lässt: Nur Kinder mit Sprachdefiziten sollen dieses Jahr im Kindergarten absolvieren müssen, und die Eltern werden dafür voll zur Kasse gebeten. Wer Deutsch beherrscht und wer nicht, das soll der Direktor der zukünftigen Volksschule entscheiden. Experten meinen, dass diese Regelung wohl kaum der Verfassung entspricht, es gebe ja den Grundsatz der Gleichbehandlung. Und damit wird die österreichische Familienpolitik wohl wieder dort landen, wo sie vor genau zehn Jahren war: beim Verfassungsgerichtshof.
Markus Widmer
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