Omis sterben aus

Pyramidenspitze der Großfamilie

Denken Sie da ähnlich wie ich? Oder planen Sie für Ihr Pensionistinnendasein eine Frauen-WG mit Ihren besten Freundinnen? Hätte auch ihre Reize: Da hätten Sie nicht nur immer jemanden zum Quatschen parat, sondern auch jemanden, der Sie gegebenenfalls vor anstrengenden Gästen schützt – besonders, wenn sie die Windeln gewechselt haben wollen.
Ja, ich spreche von Ihren Enkelkindern. Oder haben Sie sich nie geschworen, Sie werden die lieben Kleinen der nächsten Generation an ihre Mütter und Väter retournieren, wann immer Sie Lust dazu haben? Eben. Sehen Sie.

Warum allerdings einige der heutigen Großmütter auch so denken, bleibt mir ein Rätsel: Schließlich haben sie ja genug Zeit. Und furchtbar liebe Enkelkinder. Und zwischen der Babyzeit ihrer eigenen Sprösslinge und den Enkerln liegen viele Jahre – da haben sie bestimmt schon vieles vergessen. Und vor allem haben sie sich sicher nie geschworen, dass sie niemals die gleichen Frondienste an ihren Enkelkindern ausüben würden, die sie für ihre eigenen Kinder leisten mussten. Sowas tat man damals ja nicht. Oder?

Oder. Geändert hat sich da tatsächlich so allerlei – aber nicht erst in unserer Generation, auch unsere Mütter leben nicht mehr im 19. Jahrhundert. Damals, in der guten alten Zeit, da war natürlich alles anders. Ziemlich große Familien mit ziemlich wechselnden Müttern – die pflegten nämlich häufig im Kindbett zu sterben – erforderten eine möglichst immer anwesende Frau: die Großmutter. Familien, in denen die Eltern es als sozialen Meilenstein auffassten, als sie nur noch zwölf Stunden täglich und sonntags nur halbtags arbeiten mussten, brauchten jemanden, der sich um den Haushalt kümmerte: die Großmutter.

Und vergnügliche Arbeiten wie Wäschewaschen, Wasserholen oder Windeln auskochen schrieen nach möglichst vielen Händen: auch denen der Großmutter. Und schließlich – was hätte sie sonst tun sollen? Ruhestandsgeld und Witwenpensionen gabs noch kaum. Und eine Wohnung war für eine Einzelperson sowieso fast unerschwinglich. Also arbeitete sie ihren Lebensunterhalt eben in der Familie ihrer Kinder ab. Ein idyllisches Leben.

Aber so weit müssen wir doch eigentlich gar nicht zurückgehen: Die schöne rosa Zeichnung der ländlichen Großfamilie korrigiert spätestens Anna Wimschneider mit ihrem Roman “Herbstmilch” aus den 40er-Jahren. Ihr Buch – inzwischen längst ein Klassiker geworden – räumt der Großmutter einen ziemlich breiten Raum ein. Und einen ziemlich dominanten. Da blieb für die Schwiegertochter lange Jahre nur mehr eine Besenkammer übrig. Klassisches Matriarchat, sagen Sie?

War ja in Zeiten des Krieges und Männermangels auch gar nicht anders möglich? Wer hätte denn sonst Haus und Hof, Hab und Gut zusammenhalten sollen, eine junge unerfahrene Frau wäre dazu sicher nicht imstande gewesen! Hat schon so seine Berechtigung, das Argument. Erinnern Sie mich daran, wenn ich mich das nächste Mal über die Anweisungen meiner Schwiegermutter ärgere, ja?

Und unsere eigenen Großmütter

Aufgewachsen in einer Zeit der staatlich verordneten Familienstrukturen. Das Alter wird geehrt. Wenn man also schon nichts als sein hohes Alter hatte, dann kriegte man wenigstens Respekt und Dankbarkeit dazu. Können Sie sich vorstellen, wie die damals jungen Leute – vorwiegend mit dankbarem Respektieren beschäftigt – darauf warteten, endlich älter zu werden?
Nur leiderleiderleider: Das Senioritätsprinzip gibt es nicht mehr. Vermutlich an Altersschwäche gestorben. Im Arbeitsleben gilt ein 50-Jähriger heute nicht mehr als Respektsperson, sondern als teures Hobby des Firmeninhabers. Und nehmen Sie es dankbar zur Kenntnis, wenn Ihre Sozialversicherungs-Beiträge wieder einmal erhöht werden, um die Arztkosten der Pensionisten ein wenig mehr zu decken? Schon ein Schock für die heutigen Großmütter: In ihrer Jugend waren die Alten wertvoll. Jetzt sind es die Jungen. Sie waren es irgendwie nie. Ein wenig Grantscherbelei deswegen sei ihnen verziehen, oder?

Und so ein kleines bisschen Neid auf unsere Mütter sei ihnen auch gegönnt. Die haben sich nämlich schon zu einem großen Teil von den KKK – Kindern, Küche, Kirche gelöst: Wir Kinder kleben nicht mehr an ihren Rockzipfeln, in der Küche steht ein Mikrowellenherd und die Kirche, naja. Je nach Geschmack. Zumindest hatten die Großmütter unserer Kids in den letzten 20 Jahren die Gelegenheit zu Berufsleben, Boutiquenbummeln und Tunesien-Urlaub.

Und viele von ihnen haben sie auch ergriffen. Warum also sollten sie jetzt die Windeln unserer Kinder wechseln? Aus wirtschaftlicher Not wie im 19. Jahrhundert? Aus hierarchischen Gründen? Aus Dankbarkeit? Vielleicht aus Liebe? Egal. Recht machen können sie’s uns sowieso nicht.

Und das hat nicht nur einen einzigen Grund: DIE Großmutter, die aus dem Märchenbuch, jene, die Heidis Stadtaufenthalt erträglich gemacht hat, die von Heintje besungen wurde und die für Kasperl und Pezi Palatschinken bäckt, die gibt’s nicht. Kann sein, dass es sie nie gab – kann sein, dass sie ausgestorben ist.

Heutige Großmütter: eine Typenlehre

Heutige Großmütter leben auch in der heutigen Zeit. Und von ihnen existiert mehr als nur eine Art.
Typ eins: Die ungroßmütterliche Großmutter
Profil: Sie steht mit beiden Beinen im Leben – in ihrem eigenen. Und sie freut sich über Kinder, besonders, wenn sie schon größer, verständig und pflegeleicht sind. Der Besuch ihrer Enkel macht sie ein wenig nervös, zumindest, wenn er zu lange dauert. Oder wenn die Katze krank ist. Oder wenn der Friseur wartet.
Baby sitten?

Nun ja. Nur gegen schriftliche Garantie, dass das Kind je nach Alter entweder durchschläft oder leise unter dem Klavier sitzen bleibt.
Geburtstagsgeschenke? Sie zahlt das, was die Eltern besorgen. Bonus: Wenn die Enkelkinder größer sind, kann diese Großmutter ein interessanter Gesprächspartner werden.

Typ zwei: Die mütterliche Großmutter
Profil: Auch sie steht mit beiden Beinen im Leben – allerdings mit einem davon im Leben ihrer Kinder und Enkel. Und sie schätzt zu großen Abstand zwischen den Generationen gar nicht, schließlich gehört die Großmutter zur Familie! Und damit das auch niemand vergisst, lässt sie ihre Nachkommen gern und jederzeit an ihrem reichen Erfahrungsschatz teilhaben.

Baby sitten? Selbstverständlich, ist ja ihre Pflicht. Allerdings ist der elterliche Wille bezüglich Mahlzeiten, Kleidung und sonstigen Erziehungsmaßnahmen in Großmutters Haus ungültig. Schließlich hat sie ja schon bewiesen, dass sie Kinder groß kriegt – ob das den Eltern des Babys auch gelingt, ist immerhin fraglich.

Geburtstagsgeschenke? Klar, und sie findet immer das Passende. Zumindest das, was in ihren Augen auch passend ist.
Bonus: So manchmal hat sie ja tatsächlich den einen oder anderen Trick parat. Dumm bloß, dass Eltern dazu neigen, ihn schon von vornherein abzulehnen – einfach weil er von ihr kommt.

Typ drei: Die großmütterliche Großmutter
Profil: Lesen Sie “Heidi”. Aber halt – hab ich die nicht ins Reich der Märchen verbannt? War wohl etwas voreilig! Sie existiert tatsächlich, die Großmutter, die ihren Enkeln alles gibt, die immer für sie da ist, die sich aufopfert und nur für sie lebt. Und die natürlich dafür sorgt, dass das auch jeder weiß.
Baby sitten? Am liebsten täglich.

Aber die Eltern lassen es ja viel zu selten zu. Ob sie ihr die Kinder vorenthalten wollen? So wenig, wie sie das Baby zu Gesicht kriegt! Aber natürlich, sie ist ja nur die Großmutter – und die gilt in der Familie bekanntlich ja nichts.

Geburtstagsgeschenke? Riesige. Unzählige. Mächtige. Teure. Solche, die möglichst viele Leute zu Gesicht kriegen. Und solche, bei denen man betonen kann, dass zwei Monatseinkommen dafür draufgegangen sind. Aber das macht ja nichts. Als alte Großmutter braucht man ja nicht mehr so viel. Bonus: Sie liebt die Kinder wirklich. Und die Kinder lieben sie auch. Und das nicht nur der Geschenke wegen.

Typ vier: Die einfache Großmutter
Profil: Ganz normal. Nix Ungewöhnliches. Machmal gut gelaunt, manchmal weniger. Manchmal etwas genervt von den Quengeleien der Enkel, meist aber geduldiger als die Eltern. Eine Großmutter, die sich gerne Zeit für ihre Familie nimmt, aber auch sagen kann, dass sie gerade einmal keine Lust hat. Eine Frau, die ihr eigenes Leben genießt und trotzdem einspringt, wen Not am Mann ist.

Baby sitten? Warum nicht? Macht doch allen Beteiligten Spaß! Zumindest so lange, wie die Großmutter nicht den Eindruck hat, sie würde ausgenutzt. Und dass es in ihrem Haus hier oder dort andere Spielregeln gibt als bei den Eltern, muss allen klar sein.

Geburtstagsgeschenke? Ein Wunsch in vernünftigem Rahmen wird gern erfüllt – normalerweise im Einvernehmen mit den Eltern. Und wenn es einmal ein ganz und gar unvernünftiger Wunsch sein sollte, findet die Großmutter vielleicht einen Weg, ihn auch Mama und Papa schmackhaft zu machen.

Bonus: Wenn Sie so eine Großmutter in der Familie haben, pflegen Sie sie. Und sagen Sie ihr auch ruhig einmal, dass sie lieb ist. Und vor allem: Verraten Sie niemandem, dass Sie so eine Großmutter haben. Jammern Sie lieber herum. Oder wollen Sie, dass man sie entführt um sie zu klonen?

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