Cybergrooming – die Täter lauern im Internet

Der Mord an der 14-jährigen Beate* sorgte im Sommer 2022 für Schlagzeilen. Das Mädchen hatte den mutmaßlichen Täter über die Chatfunktion eines Online-Spieles kennengelernt. Anbahnungen wie diese nennt man Cybergrooming. Wie Cybergrooming funktioniert und welche Warnsignale Eltern unbedingt beachten sollten …

 

Weit ist es nicht von Bregenz bis in die beschauliche –wenige tausend Einwohner zählende – Ortschaft R.*. Die 202 Kilometer Entfernung lassen sich mit dem Auto in knapp zweieinhalb Stunden zurücklegen. Dort spielte sich im vergangenen Sommer ein Drama ab, an dessen Anfang – laut Berichten deutscher Medien – ein zufälliges Kennenlernen im Rahmen eines, vor allem bei Kindern und Jugendlichen beliebten Online-Spieles stand.

Rückblende – Ende Juli 2022. Die 14-Jährige Beate*  wird vermisst. Nach einer tagelangen Suchaktion, an der sich auch die ortsansässige Bevölkerung beteiligte, wird die Leiche des Mädchens in einem 299 Kilometer entfernten See gefunden. Kennengelernt hatte das ermordete Mädchen den mutmaßlichen Täter – laut Berichten – über die Online-Chatfunktion des beliebten Computerspieles Fortnite. Der mutmaßliche Täter hatte im Vorfeld der Tat anscheinend seit mehreren Monaten via Internet-Chats Kontakt zu ihr.

 

Cybergrooming nimmt massiv zu

Wir haben den auf der Medienerziehung und Medienpädagogik spezialisierten Schweizer Sozialpädagogen Ben Fisch dazu befragt, was es mit Cybergrooming auf sich hat und wie Eltern ihre Kinder vor solchen Gefahren schützen können.

 

fratz.at: „Was können Eltern tun, um ihr Kind vor solchen Gefahren zu schützen?“
Ben Fisch: Der Fall hat ganz Deutschland schockiert und viele Eltern sind sich dieser Gefahr erst jetzt bewusst geworden. Solche Fälle einer Kontaktaufnahme im Onlinebereich, welche Erwachsene mit sexuellen Absichten zu Minderjährigen anbahnen, nennt man Cybergrooming. Diese Fälle von Cybergrooming nehmen seit einigen Jahren massiv zu.
Dieser Mordfall macht hoffentlich allen Eltern klar, dass Sie ihre Kinder über Cybergrooming aufklären müssen. Prinzipiell sollten Eltern ihrem Kind zunächst mal erklären, was Cybergrooming genau ist und wie Täter von Cybergrooming vorgehen können.

 

Können Sie uns näher erläutern wie Cybergrooming funktioniert?
Ben Fisch: Beim Cybergrooming versuchen Erwachsene einen vertrauensvollen Kontakt zu ihren meist minderjährigen Opfern anzubahnen, um sie im weiteren Verlauf nach persönlichen oder intimen Informationen zu befragen, Nacktbilder zu erhalten oder gar ein Treffen im realen Leben zu erreichen, um ihr Opfer dann sexuell zu missbrauchen. Dabei wird meist Druck aufgebaut, indem mit diversen Drohungen, z.B. Ausschluss aus dem (Game-) Forum oder Verbreitung intimer Informationen, den Minderjährigen Angst gemacht wird.

 

Täter erschleichen sich das Vertrauen

Wie gehen die Täter dabei vor?
Ben Fisch: Die Täter gehen strategisch und meistens nach dem gleichen Muster vor: Sie suchen mit Fake- Profilen den Kontakt zu jungen Menschen, erschleichen sich ihr Vertrauen, binden sie emotional an sich, verwickeln sie in sexuelle Gespräche und Handlungen und sorgen dafür, dass sie niemandem davon erzählen.

 

Können Sie uns Beispiele nennen wie Cybergrooming anfangen kann?
Ben Fisch: Ja. Die 12-jährige Leonie spielt gerne Roblox auf ihrem neuen Handy. Als sie eines Tages von einem ihr Unbekannten eine große Menge der Spielwährung Robux geschenkt bekommt, beginnt sie mit diesem zu chatten. Der Unbekannte stellt sich ihr als 14-Jähriger vor und bietet Leonie an, ihr noch mehr Robux zu schenken, wenn sie ihm Bilder von ihrer Unterwäsche schickt.
Oder: Markus ist 13 und spielt viele seiner Games über die bekannte Onlineplattform Steam. Irgendwann bekommt er eine Chatnachricht von einem User, der ihm bis dahin unbekannt war. Dieser stellt sich ihm als 14-jährige Laura vor, die total begeistert von seiner Spielesammlung ist. So kommen beide langsam ins Gespräch bis Laura vorschlägt sich mal ganz spontan zum gemeinsamen Zocken zu treffen.

 

Wie können Eltern dieser Gefahr durch Cybergrooming begegnen?
Ben Fisch: Es macht natürlich Sinn, wenn man mit seinem Kind einige grundsätzliche Regeln zum Schutz vor Cybergrooming vereinbart. Dazu könnte man folgende Grundregeln gemeinsam festlegen:
• Vertraue nicht jedem! Du kannst nicht wissen, wer sich wirklich hinter einem Profil versteckt und was für Absichten er oder sie hat.
• Geh sparsam mit deinen persönlichen Daten um und schütze deine Online-Profile, so dass nicht jeder dich sehen und kontaktieren kann. Gib nie deinen echten Namen (verwende Pseudonyme), deine Telefonnummer, Adresse oder Schule an.
• Verschicke keine Fotos oder Videos! Besonders keine intimen Sachen von dir selbst.
• Lasse dich niemals auf ein reales Treffen ein!

 

Nicht verteufeln – Online-Freundschaften können auch eine Bereicherung sein

Wir haben jetzt gerade über die Gefahren von Online-Freundschaften gesprochen. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie waren für viele Jugendliche diese Online-Kontakte aber ein wichtiges Tor zur Welt.
Ben Fisch: Ja, man sollte solche Kontakte nicht prinzipiell verteufeln. Trotz aller Gefahren können Online- Freundschaften im Leben mancher Kinder eine wahre Bereicherung sein, weshalb vor einem allgemeinen Verbot abzuraten ist! Deshalb sollten Eltern mit ihrem Kind auch besprechen, wie es sich absichern kann, wenn es mal eine Online- Freundschaft vertiefen möchte. In diesem Fall ist es ratsam zuerst mal einen Videocall (z.B. über Skype – ohne Telefonnummer!) zu starten, damit man sehen kann, mit wem man es wirklich zu tun hat.
Aber auch nach einem solchen Videocall muss man vorsichtig bleiben, wenn es um ein Treffen im realen Leben geht. Will sich das Kind unbedingt mit einer Online- Bekanntschaft verabreden, sollte das Treffen auf einem öffentlichen Platz und bei Tageslicht stattfinden. Am besten ein Elternteil oder eine andere erwachsene Person begleitet das Kind zum Treffen.

 

Das reicht?
Ben Fisch: Mit diesen Abmachungen sollte das Kind sicher sein vor Cybergrooming. Trotzdem sollten Eltern weiterhin interessiert bleiben, was ihr Kind im Netz treibt, mit wem es in Chats kommuniziert und welche neuen Bekanntschaften es dort macht. Eine vertrauensvolle und offene Beziehung in Bezug auf digitale Themen sind ein wichtiger Sicherheitsfaktor und deshalb dürfen Eltern ihr Interesse aktiv zeigen und sich von ihrem Kind seine digitale Umwelt erklären und zeigen lassen. Am besten noch heute!

fratz.at: Danke für das Gespräch.

* Namen geändert 

 

Weiterführende Links: Saferinternet.at- „Cyber-Grooming – Wie kann ich mein Kind vor sexueller Belästigung im Internet schützen?“

Bild: Sujet_pixabay Egonetix_xyz

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments
Related Stories
Search Posts
Post Tags

Zur Person

Ben Fisch
Der Schweizer Ben Fisch ist studierter Sozialpädagoge (dipl. Sozialpädagoge FH) und hat sich auf den Bereich der Medienerziehung und Medienpädagogik spezialisiert. Er bezeichnet sich selbst als «Digital Native», weil er im digitalen Zeitalter aufgewachsen ist und im Jugendalter sehr viele Erfahrungen im Bereich des Gaming gesammelt hat: „Ich bin mit FIFA, Anno, GTA und Egoshootern groß geworden und kenne somit die kindliche Perspektive dieser Thematik aus der eigenen Lebenserfahrung.“

Diese persönlichen Erfahrungen ermöglichen es ihm die unzähligen Expertenmeinungen aus Forschung oder Theoriebüchern reflektiert zu betrachten und differenziert zu hinterfragen.

Den größten Vorteil seiner Arbeit sieht er darin, dass er Eltern und anderen Pädagogen im Bereich der Medienerziehung die Perspektive der Kinder näherbringen kann. Er kann Eltern und Pädagogen aufzeigen, welche Strategien und Methoden angemessen sind, ohne dabei in eine vorwurfsvolle Haltung oder gar in schier endlose Konflikte zu geraten.

Seit einem Jahrbetreibt  Ben Fisch seinen, im deutschsprachigen Raum einzigartigen YouTube Kanal „Lösungen für die Medienerziehung“ mit reichlich Tipps und Inspirationen für Eltern: https://www.youtube.com/channel/UCNakARcVROySPMHMeML5nyg

Mehr zu Ben Fisch und seiner Arbeit erfahren Sie außerdem hier: https://kindheit2punkt0.com/

Bild: beigestellt