Leiden ist oft leichter als lösen

Kinder sind die schönste Sache der Welt – sagt man. Sie verändern aber auch das Leben ihrer Eltern dramatisch. Was mitunter zu einer echten Belastung der Beziehung werden kann.
Dominik Border darüber, warum es gerade für Paare mit Kindern besonders wichtig ist, bewusst Grenzen und Prioritäten zu setzen, damit die Liebe, trotz Alltag und Stress mit dem Nachwuchs, bestehen bleibt.

Margit ist 34 Jahre alt und zweifache Mutter. Sie und ihr Mann Peter sind seit sieben Jahren zusammen und haben vor fünf Jahren geheiratet. Ihr jüngstes Kind ist gerade mal zwei Jahre, der „Große“ ist auch erst knapp über vier Jahre alt. Die Kinder sollten die Krönung ihrer Beziehung sein und beide Kinder sind absolute Wunschkinder. Margit beginnt zu erzählen: „Wir leben auf einem gemeinsamen Grundstück mit meinen Eltern. Meine Eltern hatten das schon lange und wir beide dachten es wäre toll für die Kinder im Grünen aufzuwachsen. Meine Eltern drängen sich nicht sonderlich auf, außerdem hat das Haus zwei komplett getrennte Wohneinheiten. Nur im Garten begegnen wir uns halt ständig und in letzter Zeit scheint Peter damit ein Problem zu haben. Er ist genervt von ihrer Anwesenheit und so haben wir immer öfter darüber Streit. Ich will natürlich den Kontakt weiterhin aufrecht erhalten, außerdem nimmt mir meine Mutter die Kinder wenn ich einkaufen gehen möchte oder was zu erledigen hab. Ich versteh eigentlich nicht was sein Problem ist.“
Das präsentierte Problem ist in den seltensten Fällen der wahre Hintergrund für die Schwierigkeiten eines Paares. Meist handelt es sich bei dem präsentierten Problem eher um ein Symptom, dessen Ursache ganz woanders und/oder ein wenig tiefer liegt. So auch im Fall dieser beiden.

Leiden ist oft leichter als lösen

Aus Angst den Partner zu enttäuschen, abgelehnt zu werden oder die Beziehung zu belasten, schweigen viele Partner oder verbergen ihre wahren Gefühle vor einander. Ein geschulter Berater schafft eine sichere “Bullshit freie Zone“ in der scheinbar Unaussprechliches angesprochen werden kann. So werden das gegenseitige Verstehen und Vertrauen eines Paares wieder leichter möglich. Nach einer längeren Unterhaltung mit den beiden, stellte sich heraus, dass mit der Geburt ihrer Kinder sich auch ihre intime Paarbeziehung stark verändert hat. Sowohl Margit als auch Peter fühlen sich seither weniger bedeutend für einander und sehen ihre persönlichen Bedürfnisse weit hintangestellt, hinter den ständigen Erwartungen ihres Umfeldes.

Er: „Ich bin daheim nur irgendwer“

Margit wurde laut Peters Aussagen zur „Vollblutmutter“. Er meinte das nicht abwertend, doch wollte er damit zum Ausdruck bringen, dass seit die Kinder da sind, er nicht länger die Nummer Eins in ihrem Leben ist. Einerseits kann er sie gut verstehen, schließlich ist er nach einem langen Arbeitstag oft selbst zu müde sich weiß Gott wie ins Zeug zu legen. Andererseits fehlen ihm ihre anerkennenden Blicke, ihre Zärtlichkeit und ihre Leidenschaft für ihn. Als Vater und Versorger fühlt er sich mehr als ausgelastet. Seit die Kinder da sind, arbeitet er nach seinen Angaben doppelt so hart für alle, damit es ihnen gut geht. Doch in seiner Rolle als Mann fühlt er sich seit längerem unbestätigt und einsam.

Sie: „Ich bin daheim nur irgendwas“

Margit verteidigt sich zunächst und fühlt sich sichtlich angegriffen. Immerhin ist sie den ganzen Tag mit den Kindern zu Hause und abends wenn er kommt, fix und fertig. Sie hat dann einfach keine Lust auf Sex und fühlt sich auch nicht besonders attraktiv in ihrer Rolle. Im Verlauf des Gesprächs beginnt sie zu verstehen, wie sehr Peter an ihr das süße Mädel vermisst, das er einst kennen gelernt hat. Da beginnt auch sie sich zu öffnen. Sie erkennt schließlich ihre eigene Verletztheit darüber, dass Peter seit die Kinder da sind, ständig mehr arbeitet und immer weniger nur für sie da ist. Ja, nicht nur Peter scheint weniger an ihr interessiert zu sein, die ganze Welt dreht sich nur mehr um ihre Kinder. Für sich selbst hat sie so gut wie nie Zeit. Selbst ihre Freundinnen und Eltern haben kein anderes Thema mehr, als was die Kleinen machen. Kein Wunder also, wenn sie sich nicht sexy fühlt und auf ihre Rolle als Frau vergisst. Auch sie fühlt sich in all dem ein wenig allein gelassen.

Paarbeziehung hat Vorrang

Am wesentlichen Punkt angelangt sind die Schwiegereltern bei weitem nicht mehr so wichtig. Das eigentliche Problem der beiden war, dass sie sich als Mann und Frau nahezu völlig aus den Augen verloren hatten.
Stets beschäftigt mit alltäglichen Dingen und stark gefordert von ihren neuen Rollen als Mama und Papa, hatten sie vergessen Prioritäten zu setzen und sich und ihre Paarbeziehung an die erste Stelle vor ihren Kindern zu stellen. Das mag jetzt für einige Leser entgegen dem stehen, was manche neuzeitliche Erziehungsmethoden empfehlen. Selbstverständlich brauchen gerade kleine Kinder die ständige Obhut eines Erwachsenen, der für sie da ist. Keinesfalls sollen Vater oder Mutter unverantwortlich handeln und damit ihre Kinder unnötigen Ängsten oder Gefahren aussetzen.
Aber es muss Grenzen geben, die die Kinder kennen und respektieren lernen und hinter denen sich ein Paar auch als Mann und Frau begegnen kann. Ein wesentlicher Schritt zu mehr gegenseitigem Respekt, Vertrauen und Nähe ist Einigkeit bei der Kindererziehung. Die Kinder gibt es, weil es das Paar gibt und nicht umgekehrt. Kinder fühlen sich geborgen und sind besonders glücklich, wenn Mama und Papa mit sich selbst im Reinen sind und sich miteinander wohl fühlen.
Im Fall von Margit und Peter kann es eine wichtige Ressource für die beiden sein, wenn ihre Familie mithilft und Teil haben will, doch alles mit Maß und Ziel. Daher empfahl ich ihnen an dieser Stelle: Klare Regeln und klare Rollen. Die Großeltern und Schwiegereltern sollen durchaus ihren Platz im Leben der Kinder und der Familie haben und gewisse Aufgaben übernehmen dürfen. Dadurch fühlen sie sich respektiert, für ihre guten Intentionen gewürdigt und lassen dem Paar den nötigen Freiraum. Weiters unterstützte ich Margit und Peter dabei Prioritäten zu setzen und ihre Terminpläne zu entlasten, damit sie ihr Leben verändern und sich öfter als Paar so wie früher begegnen konnten. Nach einer Weile entspannte sich die Lage und mittlerweile ist nach ihren Angaben auch die gegenseitige Leidenschaft wieder gekommen.

Notbremse ziehen

Wenn du merkst, dass es in deiner Partnerschaft bereits ernsthafte Schwierigkeiten gibt und der Stress mit Kindern und Familie eure Liebe zu zerstören droht, dann unternimm etwas dagegen. Setze dringend Prioritäten und mute deinen Kindern auch öfter mal zu, bei einem Babysitter zu bleiben, die Nacht bei der Oma zu verbringen oder sich die eine oder andere Stunde alleine zu beschäftigen, weil jetzt nur du und dein Partner dran sind. Zeig deinen Kindern ganz bewusst, wie wichtig dir der Mann oder die Frau an deiner Seite ist. Schließlich dient kaum etwas dem menschlichen Wohlbefinden mehr als ein erfülltes Beziehungsleben und unsere Kinder lernen am Beispiel ihrer Eltern wie “Beziehung gemacht“ wird.
Wenn du deinen Kindern eine erfüllte Partnerschaft vorlebst und ihnen zeigst, dass die Beziehung zu ihrer Mutter/ihrem Vater für dich besonders wertvoll und vorrangig ist, werden sie sich später selbst ähnlich verhalten und mit hoher Wahrscheinlichkeit ähnlich glückliche Beziehungen führen können. Ein schöneres Geschenk können Eltern ihren Kindern wohl kaum mit auf den Weg geben.
Foto: pixabay_Victoria_Borodinova