„Ab ins Zimmer – 14 Tage Hausarrest“ – warum Strafen nur Angst erzeugen

Benjamins Fußballer- Wadeln haben soeben ganze Arbeit geleistet: Bei Frau Wallner, der betagten Nachbarin, ist nach einer UEFAreifen Flanke eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen. Leider kein Applaus von Tribünen herab. Bloß ein großes, rundes Loch zwischen den Fensterflügeln. Viele Scherben. Schreck im Gesicht des 12- Jährigen.

Benni ist zerknirscht: Klar! Was soll er auch sonst sein? Ganz natürliche Reaktion. Genau genommen schon ein Gutteil seiner Bestrafung. Insgeheim hat er ja nur einen einzigen Wunsch: Er möchte den Schaden am liebsten wieder gutmachen. Gleich jetzt, irgendwie, wie alle Kinder! Wird er aber die Gelegenheit dazu bekommen? Schon an der Haustüre ist diese Hoffnung dahin: „Was?“ schreit die Mutter los, „Schon wieder hast du so einen Blödsinn gemacht? Jetzt reicht es mir! Du hast drei Wochen Hausarrest!“ Der neunjährige Sebastian ist oft jähzornig und wirft auch gerne mal mit seinen Spielsachen umher. Als er aber Vaters mühevoll gebautes Modell-Holzschiff wütend zum Fluggerät degradiert, setzt es rigorose Strafen im „Kombipack“: „Geh auf dein Zimmer und lass dich heute ja nicht mehr blicken. Dann hast du Zeit zum Nachdenken!“, verliert Sebastians Mutter die Contenance. „Außerdem nehme ich dir auf drei Monate deine Spielkonsole weg. Abendessen ist heute übrigens gestrichen …!“ Vorsicht, Mami, ab hier wird es fies – Regie hat hier offenbar ein wenig die Angst geführt: „Wie sag ich’s nur meinem lieben Mann?“

Ratlos

Oft ist es auch bloß Ratlosigkeit, die liebende Eltern zu völlig unpassenden Bestrafungen verführt: Was tun, wenn die lieben Kleinen oder Jugendlichen daheim wieder einmal „fürchterliche“ Sachen angestellt haben und scheinbar unbelehrbar sind? Lieber das Zuckerbrot oder die Peitsche anwenden? Wenn man schon alles Mögliche versucht hat und die ständigen Standpauken nicht fruchten? Wie soll man denn nun auf die letzte Katastrophe reagieren? So wie unsere beiden Mütter von vorhin haben die meisten Eltern prinzipiell ja auch gleich eine Antwort parat: „Eine ordentliche Strafe muss her!“ Die Zweifel folgen der Antwort aber oft auf den Fuß: Werde ich es schaffen, heute mal zur Abwechslung die „richtige Strafe“ zu verhängen? Kann ich die drei Wochen Hausarrest diesmal durchhalten? Haben meine Strafen überhaupt Sinn? Nimmt mein Kind mich denn ernst? Und: Versuche ich es vielleicht lieber einmal antiautoritär?

Lerneffekt und Angsteffekt

Jede Art von Strafe, das muss uns klar sein, hat irgendeine Auswirkung auf Ihr Kind: Erwünscht oder unerwünscht. Positiv oder negativ. Entwicklungsfördernd oder entwicklungshemmend. Die positivste Auswirkung einer Strafe ist natürlich der berühmte – und sicherlich heiß ersehnte – Lerneffekt. Er soll zu späterem „Wohlverhalten“ in einer vergleichbaren Situation führen. Ihn will man eigentlich immer erreichen. Aber viel häufiger haben Strafen natürlich die gänzlich ungewollten Auswirkungen. Eine davon ist der Angsteffekt: Das Kind lernt nicht aus dem Fehler. Es hat bloß noch Angst, dass es wieder zu einer völlig unvorhergesehenen, harten Bestrafung kommt. Im schlimmsten Fall ist gar sein Wille gebrochen. Der Angsteffekt schießt also wie Benjamins Fußball weit am Ziel vorbei.

Lerneffekt ade …

Hilfreich kann Folgendes sein: Versuchen wir einmal das Wort „Strafe“ in unserem täglichen Umgang mit den Kindern aus dem Spiel zu nehmen. Es ist mit Angst und negativen Denkmustern besetzt – und überhaupt nicht nützlich! Gehen wir die Sache anders an. „Vertragslogische Folgen“ nennt der berühmte Psychologe und Buchautor Rudolf Dreikurs die notwendigen, wichtigen Konsequenzen aus kindlichem Fehlverhalten – und trifft das Erwünschte im Kern, viel mehr, als es das Wort „Strafe“ jemals tun wird … In einem Umfeld wachsenden Vertrauens kann das so weit führen, dass man Kinder, je nach Reifegrad, nach zerbrochener Fensterscheibe oder zertrümmertem Modell-Schiff einfach einmal befragt: „Was hast du jetzt, nach deinem Missgeschick, für einen Vorschlag? Welche Konsequenz ziehst du daraus?“ Nun sollte der Vorschlag des Kindes aber natürlich ernst genommen und eben wie ein Vertrag vereinbart werden. So wird eine Konsequenz entspannt und ohne den Beigeschmack der Angst zur „vertragslogischen Folge“.

Alles hat Folgen

Ein sozusagen kostenloser Nebeneffekt dieses „Home-Coachings“: Ihr Kind bringt bald ganz automatisch ein neues Verständnis und damit Einsicht in natürliche und notwendige logische Folgen auf. Das kann insbesondere gelingen, wenn Sie Ihrem Sprössling die „Neueinführung“ auch erklären: „Jedes Wort, das du mit jemandem sprichst, jede Handlung, die du setzt, ja sogar jede deiner Bewegungen bewirkt etwas. Alles, was du tust, hat Folgen, und zwar ganz natürliche! Positive oder negative, gewünschte oder unerwünschte, merkliche oder unmerkliche.“ Das versteht auch ein Vorschulkind sofort. Und es erzeugt nicht die geringste Angst … eher sogar Neugierde. Es ist dies eines der wichtigsten Dinge, die ein Kind aus seiner Erziehung mitnehmen kann: Spüren, dass jedes eigene Handeln natürliche Folgen hat. Und die Fähigkeit entwickeln, instinktiv und mit gewisser Neugier darauf zu achten, ob diese negativ oder positiv sind. Und wie man negative Folgen logisch wieder gutmacht …

Klassiker – im „In“ oder im „Out“?

Erinnern Sie sich an Benni? Er ist zerknirscht, möchte den von ihm verursachten Schaden am liebsten wieder gutmachen. Die so beliebten Strafen- Klassiker wie Fernsehverbot, Hausarrest, Taschengeld-, Spiel-, Handy-, Naschoder Freundesentzug lassen den natürlichen kindlichen Wunsch nach Wiedergutmachung aber oft nicht zu. Allerdings: Verkauft man diese Klassiker richtig, können auch sie zuweilen logisch sein und so zum gewünschten Lerneffekt führen. Wirft beispielsweise eine Vierjährige mit Essen herum, dokumentiert sie damit: Ich habe genug. Oder: Ich will gar nichts essen. Wenn dies zuvor klar vereinbart wurde, kann das sonst sehr bedenkliche „Kein Essen mehr“ eine absolut wirkungsvolle Maßnahme sein – eben eine „Folge“. Natürlich kommt es vor allem auf Ton und Art an, wie die Maßnahme verkündet wird!

Zuckerbrot und Peitsche: Dann doch lieber Entspannt erziehen

Benjamin fährt diesmal keine „Strafe“ für die zerbrochene Scheibe ein. Seine Mutter hat ihm klare, logische Konsequenzen serviert: Scherben wegräumen bei Frau Wallner, das zugige Loch provisorisch mit Pappe zukleben, mithelfen beim Auffinden einer Glaserei. Und dann hat Benjamin noch 14 Euro Taschengeld vom letzten Monat übrig. Logische Folge: Zehn davon fließen in den „Fonds“ zur Bezahlung einer neuen Scheibe. Den Anruf beim Handwerker erledigt Benni mit Papas Hilfe. All diese Sachen würde übrigens auch ein Volksschulkind hinbekommen … Mit Begleitung sicher kein Problem! Und Sebastian? Obwohl erst neun Jahre alt, äußert er kleinlaut einen guten Vorschlag: „Gehen wir doch mit meinem Geld Kleber und Holz kaufen. Ich möchte so viel wie möglich an Papas Schiff reparieren, damit er nicht ganz so enttäuscht ist, wenn er kommt!“ Hier zählt schon der gute Wille des Buben. Die Einsicht. Unerheblich, ob er es überhaupt schaffen kann, die „Bounty“ wieder zur See zu schicken. Ein Vertrag zur Wiedergutmachung wurde soeben geboren. Reparaturzeug wird jedenfalls gekauft. Basti lernt, wie viel Mühe so ein Prunkstück kosten kann …

Lerneffekte vom Feinsten. Logische Folgen eben!

 

Bild: pixabay

 

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