Kids am Schirm: Myopie, Haltungsschäden und Reizüberflutung steigen deutlich an

Morgens vor dem Frühstück checken die Eltern noch schnell ihre E-Mails am Smartphone.  Am Nachmittag zockt die Schwester ihr Online-Lieblingsspiel am Laptop, am Abend gibt es vor dem Einschlafen noch ein „Betthupferl“ am Tablet. Und die jüngsten Familienmitglieder sind überall live dabei.

 

Eine Studie (1) von Safer Internet belegt, dass 81 % der 3- bis 6-Jährigen täglich das Internet nutzen, Tendenz steigend. Im Vergleich zum Jahr 2013 (41 %) ist eine Verdoppelung in dieser Altersgruppe zu beobachten. Dabei liegen Tablets, Smartphones und internetfähige Fernseher als meistgenutzte Medien voran.

Smartphones, Tablets und PCs gehören mittlerweile Standard in nahezu jeder Familie. Die Zeit, die schon Kleinkinder am Bildschirm verbringen steigt weiter an. Die Folgen einer zu langen Nutzungsdauer im Kleinkindalter sind noch gar nicht richtig abzusehen. Belegt ist mittlerweile eine Tendenz zum Anstieg von Myopie (Kurzsichtigkeit), Haltungsschäden und Reizüberflutung. Im Rahmen einer Pressekonferenz der Bundesinnung der Augen- und Kontaktlinsenoptiker und Optometristen trafen sich Expert:innen zu einem interdisziplinären Austausch, um das Thema „Kids am Bildschirm“ aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten.

 

Kurzsichtigkeit, Netzhautablösung und Makula-Degeneration

Markus Gschweidl, Bundesinnungsmeister der Augen- und Kontaktlinsenoptiker und Optometristen, warnt vor übermäßigem Bildschirmkonsum im Kindesalter: „Ein zu kurzer Leseabstand und zu lange Bildschirmzeiten können bei Kindern einen negativen Einfluss auf das Augenlängenwachstum nehmen. Es begünstigt die Entwicklung von Myopie, also das übermäßige Augenwachstum und erhöht das Risiko von Folgeerkrankungen im Erwachsenenalter, wie zum Beispiel Netzhautablösung und Makula-Degeneration (Erkrankung des Zentrums der Netzhaut des Auges – z.B.: AMD).“ Weitere Ursachen zur Entstehung von Myopie können genetische Faktoren und zu wenig verbrachte Zeit im Freien sein.

 

Volksleiden Kurzsichtigkeit

Laut dem aktuellen DOZ Report zum Thema Myopie Management liegt die Myopieprävalenz (=Rate der von Kurzsichtigkeit betroffenen) bei deutschen Kindern mit 3 Jahren bei 4 %, mit 10 Jahren schon bei 9,8 % und bei 16-Jährigen sogar bei 27 %. Der Eintritt in die Schule dürfte dabei als Turbo funktionieren. Weltweit steigt die Zahl der kurzsichtigen Kinder stark an. Laut einer Studie von Brien Holden et al. wird die Myopie-Prävalenz der Weltbevölkerung im Jahr 2050 auf knapp über 50 % geschätzt.

 

Maßnahmen zur Prävention – raus ins Freie – Pausen einlegen

Wenn die Myopie (Kurzsichtigkeit) einmal eingetreten ist, lässt sie sich nicht mehr ganz stoppen, mit bestimmten Maßnahmen kann man das Fortschreiten aber eindämmen. „Die Forschung in diesem Bereich entwickelt sich ständig weiter. Es gibt bewährte Maßnahmen, um eine Fortschreitung zu bremsen. Als medizinisches Mittel kommen die Atropin Augentropfen zum Einsatz. Die optischen Maßnahmen beinhalten spezielle Kontaktlinsen und Brillengläser“, erklärt Gschweidl.

Darüber hinaus können Eltern mit einfachen und trotzdem wirksamen Maßnahmen einer Entstehung von Kurzsichtigkeit bei ihren Kindern entgegenwirken. Dazu gehört ein Aufenthalt im Freien von mindestens zwei Stunden am Tag bei Tageslicht. Zusätzlich sollten bei der Naharbeit am Bildschirm immer wieder Pausen eingelegt und der Blick in die Ferne gerichtet werden (20/20/20 Regel). Der Bundesinnungsmeister rät zu regelmäßigen Seh-Checks bei den Augen- und Kontaktlinsenoptikern und zu medizinischen Kontrollen, damit bei einer beginnenden Myopie rechtzeitig geeignete Maßnahmen getroffen werden können.

 

Eltern als Vorbilder

Die Safer Internet-Trainerin und digitale Medienexpertin Marietheres van Veen weiß, wie wichtig der Einfluss der Eltern auf die Jüngsten ist: „Eine Studie der Stiftung Lesen zeigt auf, dass 34 % der Eltern bereits Apps als digitale Bücher für ihre Kinder einsetzen, 25 % sind davon überzeugt, dass man Kinder heutzutage mit modernen Medien beschäftigen kann.“

Van Veen empfiehlt einen bewussten Umgang mit den neuen Medien: „Die Eltern sollten ihre Vorbildfunktion ernst nehmen und die Bildschirmzeit bei sich selbst und auch bei ihren Kindern regulieren. Eine medienfreie Zeit im Alltag tut auch den Erwachsenen gut. Am besten dreht man das Gerät täglich eine Zeitlang bewusst ab und spielt mit den Kindern analoge Spiele, optimalerweise im Freien.“

 

Haltungsschäden, Verspannungen und Kopfschmerzen

Dem kann der Physiotherapeut Peter Weese voll und ganz zustimmen. „Die Kinder, die zu mir in die Praxis kommen, werden immer jünger. Die Beschwerden liegen in massiven Verspannungen der Nackenmuskeln, die oft zu Kopfschmerzen führen. Manchmal entstehen auch Tinnitus sowie Schwindel in Zusammenhang mit langem Bildschirmschauen und Nahsicht. Als Langzeitfolge können Probleme mit der Lendenwirbelsäule auftreten.“

 

Praktische Übungen zur Prävention

Weese empfiehlt den Eltern praktische Umkehrübungen aus der modernen Physiotherapie, die sie mit ihren Kids auf spielerische Weise umsetzen können. Beispiele sind unter anderem alle Übungen, die in Überkopfhaltung ausgeführt werden (Handstände, Räder), oder auch tägliche Aktivitäten in Hüftstreckung (Fangenspielen, Ballspielen). Als Prophylaxe eignet sich Krafttraining (empfohlen ab 10 Jahren) und klassische Übungen wie Liegestütze, Plank, Seilziehen, Schubkarre oder Klimmzüge. Unbedingt zu vermeiden ist der Rundrücken beim Sitzen und zu lange Phasen in derselben Position.

 

Eltern als Vorbilder gefordert

Markus Gschweidl, sieht gemeinsam mit den beiden anderen Expert:innen die große gemeinsame Klammer in der Vorbildfunktion der Eltern. „Im Endeffekt können Eltern aufgrund ihres eigenen Verhaltens ihre Kinder zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den digitalen Medien erziehen. Eine bewusste Regulierung des Handy- und Tabletkonsums, ausreichend Aufenthalt im Freien bei Tageslicht und regelmäßige Kontrollen können möglichen Risikofaktoren entgegensteuern.“

 

  1. Die Studie „Die Allerjüngsten und digitale Medien“ wurde vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES) im Auftrag des Österreichischen Instituts für angewandte Telekommunikation (ÖIAT) und der ISPA – Internet Service Providers Austria im Rahmen der Initiative Saferinternet.at durchgeführt und im Jahr 2020 veröffentlich. Befragt wurden 400 Eltern von Kindern zwischen 0 und 6 Jahren.

 

Bild oben: pixabay/Andi Graf

 

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