Leselust statt Bücherfrust


Allzu leicht verliert das Buch den Kampf gegen TV, PC oder Spielkonsolen. Doch lesen ist wichtig: Wer gerne schmökert, weiß mehr vom Leben. So fördern Sie die Freude daran.

Es ist Sonntagnachmittag. Vom Wind gepeitschte Regentropfen trommeln an Fensterscheiben Letztes Tageslicht versickert hinter dunklen Wolken voller Kälte. Im Wohnzimmer ist es hell und gemütlich: Zwei Kindernasen versinken hinter zwei dicken Schwarten. Nur das Blättern der Seiten zerknistert die Stille. Hand aufs Herz: wer sehnt sich nicht nach solch glücklichen Lesestunden.

Nach den Helden unserer Kindheit: Mit Winnetous Tomahawk gruben wir das Kriegsbeilaus, feierten verbotene Mitternachtspartys mit Hanni und Nanni, schlichen mit den fünf Freunden zwielichtigen Gestalten hinterher. Sogar heimlich, mit der Taschenlampe im Bett. Und heute?

Zappen statt buchstabieren


Das vergleichsweise unspektakuläre Buch konkurriert mit bewegten Bilderwelten von Fernseher, Computer, Spielkonsolen und Internet. Die neuen Medien locken und verführen. Kinder lernen schon früh, sich dauerberieseln zu lassen. Einschalten – Film läuft – gefällt nicht? – weiterzappen – irgendetwas findet sich immer. Ausschalten – meist erst auf wiederholtes Drängen der Eltern. Einen Buchdeckel aufschlagen, selbst einen Film im Kopf kreieren? Null Bock! Zeit für einen literarischen Angriff auf Fernbedienung, Gameboy und Co.

Lesen – von Anfang an


Leseförderung beginnt bereits zu Hause, in der Familie. Erste Funken der Lese- Leidenschaft sollten bereits vor Schuleintritt in Kinderherzen glimmen. Später lässt sich die Glut nur schwer entfachen. Schon Säuglinge kauen begeistert an Stoff-Bilderbüchern; Kleinkinder zerren mit ungeschickten Händen robuste Buchseiten auseinander, spritzen mit wasserfesten Plantschbüchern in der Badewanne.

Babys reagieren zunächst auf Bilder und Farben, kleinere Kinder auf Gegenstände, die sie längst aus dem Alltag kennen: ein Auto, der Schnuller, ein Ball oder Teddybär. Sie zeigen mit dem Finger; benennen, was sie sehen – erste Schritte in die magische Welt von 26 Buchstaben.

Lesen beginnt mit Vorlesen


„Kinder, denen von Anfang an regelmäßig vorgelesen wurde, lernen in der Schule lieber Lesen und Schreiben. Und damit auch leichter“, sagt Diplompädagogin und Autorin Marlene Walter, Expertin auf dem Gebiet der Schreib- und Leseerziehung. Bücher machen schlau, entführen Leseratten zu unbekannten Personen und fremden Schauplätzen. „Kinder entwickeln ein Gespür für die Verschiedenheit der Menschen, Mitgefühl und Toleranz“, erklärt Marlene Walter. Bücher bewegen, können uns verändern. Nebenbei lernen Kinder Symbole zu verstehen.

Eine wichtige Voraussetzung, um später das Prinzip von Buchstaben und Schrift nachzuvollziehen. Regelmäßiges Vorlesen, Rituale wie Gute-Nacht-Geschichten, lenken das Interesse weg von medialen Einbahnstraßen wie dem Fernsehen hin zum Kino im eigenen Kopf. Gemeinsam mit Papa, Mama oder Oma hineingleiten in ein Märchen, sich aneinanderkuscheln, die Bettdecke bis zum Kinn hochziehen – was gibt es Schöneres? Das Kind erlebt, dass sich die Eltern Zeit nehmen. Lesefreude, die sich in solcher Geborgenheit entwickelt, kann ein Leben lang anhalten.

Nicht aufgeben!


Viele Eltern hören zu früh mit dem Vorlesen auf. Überzeugt, dass Taferlklassler sich ab sofort selbst im Alphabet zurechtfinden könnten. Ein Fehler. Denn im Gewirr aus 26 Buchstaben verfüßeln sich angehende Bücherwürmchen nur allzu leicht. „Bis zu zwei Jahre dauert es, bis ein Kind flüssig und sinnerfassend lesen, kreativ weiterdenken kann“, so Marlene Walter. „Texte, die Kinder jetzt interessieren, können sie alleine noch nicht entziffern. Und die, die sie lesen könnten, interessieren sie nicht mehr.

Basis für Multimedia


Lesen ist Voraussetzung zum Lernen, für jeglichen Wissenserwerb auch im späteren Leben. Es fördert die Konzentration, die Fähigkeit sich auch einmal zurückziehen zu können. Lesen trainiert das logische Denken, bringt Farbe in die Sprache des Alltags – wichtige Grundlagen für die Schule. „Kinder, die lesen, verwenden phantasievolleres Vokabular, sind Lesemuffeln in Grammatik und Satzbildung überlegen“, sagt Marlene Walter. „Auch für ComputerFans gilt: wer lieber im Internet surft, statt Bücherseiten umzublättern, muss erst einmal lesen können.“

Eltern als Vorbild


Lassen Sie sich ertappen beim Lesen. Beobachtet ein Kind Mama oder Papa in eine Zeitung vertieft, ist es eher bereit, selbst die Nase in ein Buch zu stecken. Raum zum Lesen muss man schaff en. „Man kann sein Kind abends nicht in eine Ecke setzen und befehlen ,Lies!‘, wenn der Rest der Familie vor dem Fernseher hockt“, sagt Marlene Walter. Wer regelmäßig in die Flimmerkiste starrt, statt einen Buchdeckel aufzuschlagen, wirkt nicht glaubwürdig. Denn in Eltern selbst muss brennen, was sie in den Herzen und Köpfen ihrer Kinder entzünden wollen.

Foto: altanaka/Shutterstock.com


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