Mutter, Vater, Kinder – das war einmal …

Zugegeben: Diese eher „outa space“ anmutenden Familienidylle der 1950er oder 1960er Jahre spiegelt eine heile, verklemmte, patriachalisch geprägte Gesellschaft wider: adrette Kinder, „Nur-Hausfrauen“ und Väter, die das Geld nach Hause brachten. Tatsächlich war die Lebensgemeinschaft Familie in grauen Vorzeiten beständiger – wenn auch nicht unbedingt nur von Liebe zusammengehalten … Schon durch die klare Rollenteilung waren Frau und Mann aufeinander angewiesen: kein Zweifel, wer was zu tun hatte. Wie immer man zum Klassiker stehen mag – heute ticken die Uhren ohnehin anders. Im dritten Jahrtausend lautet die Prämisse „Partnerschaft“. Sie bietet ein Mehr an Freiheit, aber auch ein Mehr an Konfliktpotenzial: Das familiäre Zusammenleben ist schwieriger geworden, das Modell zerbrechlicher.

Selige Zeiten, brüchige Welt

Die Statistik spricht Bände: Seit Jahren sinkt die Zahl der Eheschließungen. Von denen, die sich noch trauen, landet knapp die Hälfte irgendwann einmal vor dem Scheidungsrichter. Immer mehr Österreicherinnen und Österreicher ziehen ohnehin das Single-Dasein vor: Jeder Siebente lebt mittlerweile allein. Tendenz: rapid steigend. Hat das Modell „Vater, Mutter, Kind“ endgültig ausgedient?

Vom großen Haus zum kleinen Glück

„Spiel ma Vater, Mutter, Kind?“, „Ja, iiiiich will die Mama sein!“ Was in Sandkistentagen Vorbild für ein beliebtes – eindeutig matriarchal geprägtes – Rollenspiel abgibt, steckt eigentlich selbst, auf die Menschheitsgeschichte gerechnet, in den Kinderschuhen: Noch vor 200 Jahren lebten Junge und Alte, Blutsverwandte und Mündel, Bauern und Gesinde unter einem Dach, und das vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Erst mit dem Wachsen der Städte und der Herausbildung des Bürgertums hielten „Vater, Mutter, Kind“ Einzug in traute Heime. Das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie war geboren und bekam über die Jahrzehnte einen fixen Rahmen: Ehepartner fürs Leben, Monogamie, leibliche Kinder, klare Rollen – das alles kittete die biedermeierliche Idylle bis in die 1960er Jahre zusammen … um im Gefolge der sexuellen Revolution deutliche Risse zu bekommen. Kommunen, Wohngemeinschaften, Partnerwechsel? Probier es aus, Baby!

Die Sehnsucht bleibt

Weitere Jahrzehnte sind ins Land gezogen, und mit ihnen neue Formen des Zusammenlebens: Patchworkfamilien, AlleinerzieherInnen, Zweit- und Drittehen sind heute kaum mehr nur Ausnahme, sondern bald die Regel. Die klassische Familie ist dennoch nicht passé. Wie eine brandaktuelle Studie des Deutschen Jugendinstituts beweist, tun Scheidungszahlen und Trennungserfahrungen der Sehnsucht nach familiärer Idylle keinen Abbruch. Nein: Es sind nicht Frauen im gebärfähigen Alter, die hier befragt wurden, sondern junge Männer zwischen 15 und 42. Beachtliche 90 Prozent von ihnen wollen Familie haben, 80 Prozent ihren Nachwuchs auch betreuen und immerhin 40 von 100 den Beruf nach der Geburt des Kindes zurückstellen.

Kinder, Küche und Karriere

Ja, seine Karriere habe unter den zwölf Monaten Väterkarenz gelitten, räumt Roman, 40, ein. „Aber das war mir die Zeit mit Ariana wert. Außerdem hab ich viel gelernt: Managementfähigkeiten zum Beispiel. Als mich mein früherer Arbeitgeber nach der Karenz karrieremäßig herabstufen wollte, hab ich mich eben selbstständig gemacht.“ Wie die meisten jungen Eltern versuchen Roman und seine Frau Astrid, 32, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Der Alltag der Juristin mit 20- Stunden-Vertrag hat viel von Krisenmanagement an sich. „Wenn ich um sieben Uhr das Haus verlasse, steht das Frühstück auf dem Tisch, das Mittagessen am Herd, die Kinder sind fertig für den Kindergarten“, erzählt die zierliche Frau. „Mein Mann bringt sie hin, ich hole sie mittags ab.“ Der Nachmittag gehört Ariana, Jakob und der Hausarbeit. „Sobald Roman nach Hause kommt, setze ich mich zu meiner Dissertation. Denn auch wenn ich das Zusammensein mit den Kindern sehr genieße – ganz habe ich meine Karriere noch nicht abgeschrieben“, lächelt Astrid.

Halb leer oder halb voll?

„Alles muss geplant werden: Wer übernimmt wann und wie lange welche Aufgaben?“, beschreibt Roman den alltäglichen Balanceakt zwischen seiner eigenen Software-Firma, Astrids Beruf und den Bedürfnissen aller Familienmitglieder. Gelingt diese Abstimmung nicht, drohen Konflikte, wissen sie. Die sind auch ihnen nicht erspart geblieben. Selbst Scheidungskinder, haben Astrid und Roman aber im Laufe der Jahre eine Strategie entwickelt. Und die heißt: reden. „So wie unsere Eltern jahrelang schweigend nebeneinander herleben: Das wollen wir nicht“, macht Astrid deutlich. Die beiden sind auf einem erfolgversprechenden Weg. Denn nicht außereheliche Affären und unterschiedliche Interessen sind es, die Paare einander entfremden, sondern Banalitäten:Unaufmerksamkeit, schlechte Kommunikation, mangelnde Streitkultur. Ob Astrid und Roman die hohen Scheidungsraten zum Nachdenken bringen? „Nein“, stimmen sie überein. „Man kann es auch anders betrachten: Jede zweite Familie bleibt erhalten.“ Vater, Mutter, Kind im 21. Jahrhundert – eine Herausforderung, aber noch immer kein Auslaufmodell!

„Familie individuell gestalten“

Dipl.-Sozialpäd. Olaf Kapella, Österreichisches Institut für Familienforschung (ÖIF) – Universität Wien, über das Modell Familie

fratz&co: Vater, Mutter, Kind – ist das passé?

Olaf Kapella: Sicherlich nicht. Allerdings halten wir in Diskussionen oft noch an der „klassischen Kernfamilie“ fest und übersehen dabei vielfach, dass in der Geschichte immer nur ein Teil der Gesellschaft diesen Familientyp gelebt hat. Die Kernfamilie wurde erst in den 1950er und 1960er Jahren, im „goldenen Zeitalter der Familie“, zum Referenzmodell.

fratz&co: Rund jede zweite Ehe scheitert. Ist das Leben als Familie schwieriger geworden?

Olaf Kapella: Durch die Veränderungen in der Gesellschaft und die veränderten Anforderungen an Beziehungen und Erziehung erhöht sich der Druck auf die Familie. Dass alle bestehenden Formen des Zusammenlebens an einem bestimmten Modell, der Kernfamilie, gemessen werden, macht die Sache nicht leichter: Damit Familie funktionieren und den gesellschaftlichen Entwicklungen standhalten kann, müssen Menschen die Möglichkeit haben, ihre Lebensentwürfe individuell zu gestalten. Wünschenswert wäre, auch neuere Familienformen rechtlich abzusichern, um diesen Familien eine Sicherheit zu bieten.

fratz&co: Hat die Familie Zukunft?

Olaf Kapella: In allen Werte- und Einstellungsstudien – ob unter Jugendlichen oder Erwachsenen – hat Familie eine sehr hohe Bedeutung. Die meisten Menschen äußern nach wie vor den Wunsch nach Partnerschaft und Familie, ebenso stellt die Treue zueinander einen zentralen Wert dar. Grundsätzlich sehe ich der Zukunft der Familie also sehr positiv entgegen.

 

Mag. Andrea Schaller (12/16_be_9/21)

Titelfoto: oliveromg/Shutterstock.com

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