Zukunftspläne mit Ablaufdatum

Sabrinas Mama hätte zwar noch viel Zeit, weil Ihre Tochter erst ein Jahr alt ist, aber eines steht für die junge Mutter jetzt schon fest: Die kleine Prinzessin wird so früh wie möglich an der besten Ballettschule der Stadt angemeldet werden. Schließlich war Mama selbst mal beim Ballett. Nur zur Prima-Ballerina hat es damals nicht gereicht: „Sabrina soll jedenfalls mal die besseren Vorraussetzung für ihren großen Erfolg haben!“ Soweit, so gut, dein Plan, Mami. Doch denkst du bitte auch daran, dass ich, die zukünftige Prima-Sabrina, noch gar nichts von meinem Glück – oder vielleicht Unglück – weiß? Im Freudentaumel über den süßen Sprössling stellen sich viele Eltern oft schon ganz früh vor, wie ihr Kind später einmal zu sein hat, oder wenigstens sein könnte. Und das ist meistens ganz ähnlich: Ein gut gebildetes, vielleicht ein gut angepasstes, auf jeden Fall aber ein erfolgreiches Kind. Und zwar unbedingt erfolgreicher, als man selbst. Bliebe natürlich die Frage zu klären, was wir Eltern unter „erfolgreich” verstehen?

Wodurch definieren wir Erfolg für unsere Kinder und deren Zukunft? Vielleicht über unsere eigenen Stärken? Oder vielleicht gar über unsere Schwächen? In jedem Fall kann der ehrgeizige Wunsch nach einer „besseren Zukunft“ für das eigene Kind auch ganz andere Wurzeln und leider auch „Auswüchse“ haben: Nur allzu oft kommen die eigenen, oft uralten Ängste und schlechten persönlichen Erfahrungen in der Erziehungsarbeit ins Spiel. Was so weit so gut ist. Solange nicht die ebenso unbewusste, wie zumeist dauerhafte erzieherische Rückkehr in die eigene Vergangenheit zur regelrechten Belastung für das eigene Kind wird. Denn die eigenen Altlasten schleppen wir Erwachsenen oft ganz schön hartnäckig mit uns herum.

Dabei könnte es auch für uns selbst so entspannend sein, ihnen einfach ein Ablaufdatum zu verpassen und sie kurzerhand zu entsorgen. Also, lassen wir unseren eigenen alten Schrott doch dort landen, wo er hingehört: Auf dem Schrottplatz! Sind Sie dabei? Grundsätzlich ein guter Plan, meinen Sie? Ja, und trotzdem nicht immer einfach umzusetzen. Der Vater des 10 jährigen Marvin denkt nicht gern an seine eigene Kindheit zurück. So einen strengen, kompromisslos „harten“ Vater wie er selbst hatte in seinem Freundeskreis niemand gehabt: Tägliche Vorschriften, Sanktionen, Standpauken, Verbote, Fernseh- bis Taschengeldentzug schon bei minimalen „Vergehen“. Und das am laufenden Band. Schon lange vor Marvins Geburt hatte für seinen Vater fest gestanden: „Mein Sohn soll es einmal viel besser haben als ich! Ein richtig liebevoller, vor allem gütiger Vater werde ich sein! Basta!“ Heute könnte man Marvins Vater wohl durchaus als klassisch „antiautoritär” bezeichnen. Mit dem Thema antiautoritäre Erziehung hat sich der Mann jedenfalls intensiv beschäftigt und hat auch seine anfangs skeptische Frau davon überzeugen können.


Nachgiebigkeit

Die nun grenzenlos praktizierte Liebe der beiden zeigt sich vor allem durch grenzenlose Nachgiebigkeit. Aus Sorge, doch „zu hart” zu sein, sind Androhungen wie Fernsehverbot & Co. noch nie durchgezogen worden. „Man will ja nicht so sein! Zumindest nicht so wie Opa!”, denkt der Vater wohl jedes Mal. Irgendwie läuft Marvins Kindheit jedenfalls genau nach Plan: Das genaue Gegenteil von „strenger Erziehung“ bestimmt den Alltag. Marvin hat es eben viel, viel besser … Oder? Irgendwie scheint der Bub das nämlich gar nicht so toll zu empfinden. Jedenfalls ist der kleine Prinz ganz schön aufsässig und andauernd im Schmollzustand. Nahezu täglich gibt es Streitereien: Marvin hält nur ganz selten ein, was er mal versprochen hat.

Auch, wenn man es fest mit ihm vereinbart. Mami schmerzt es arg, dass sie sich auf den pfiffigen, aber störrischen Buben nicht wirklich verlassen kann. Von „folgsam sein“, sowieso keine Spur! Momentan ist die Lage ernst: Irgendwie geht es nicht mehr. So haben wir einander in meiner Kiddy Coach-Prxis kennen gelernt, Marvin, seine Eltern und ich …

Kinder suchen Grenzen

Hier schließt sich der Kreis zu den an in meiner fratz&co- Kolumne schon so oft besprochenen Themen Grenzen, Struktur und Strenge. Um wie viel „besser” hätte es Marvin möglicherweise gehabt, wenn Paps seinen alten Ängsten und Erinnerungen ein Ablaufdatum verpasst hätte? Oder wenn er wenigstens ein paar Mal so richtig „streng“ gewesen wäre? Was deutlich zeigt: Die eigenen Vorstellungen auf die Kinder zu projizieren, tut nie gut – weder, wenn es um Berufswahl und noch viel weniger, wenn es um Erziehungsstile geht. Lassen wir die eigenen Probleme hinter uns und klammern wir sie im Sinne unserer Kinder aus deren Zukunft aus.

Text: Gerhard Spitzer

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